Hey ihr alle auf der anderen Seite des Bildschirmes!
Lange hab ich überlegt ob ich wohl jetzt, wo ich doch sesshaft geworden bin, noch einmal dazu kommen werde einen Blogeintrag hier hinein zu schreiben...
Aber nun hat es mich einfach gepackt und ich konnte nicht mehr wiederstehen. Deshalb werde ich ersteinmal damit beginnen, Fehlendes aufzuholen!
Genau genommen beginnt dieses Fehlende noch in Estland, als ich im September beim "Woofing" eine Woche lang auf einer Schaafsfarm lebte.
Die Menschen, bei denen ich lebte, waren Esten und wir sprachen keine gemeinsame Sprache. Genaugenommen sprach der Mann ein wenig Englisch, war aber den ganzen Tag als Elektriker auf Arbeit. Und die Frau, mit welcher ich den ganzen Tag zusammen lebte, sprach immerhin ein paar Bröcken deutsch. Mit meinen paar Bröckchen estnisch war es ein sehr interessantes Zusammenleben, denn wir sprachen recht wenig und konnten uns trotzdem leiden (zumindest nehme ich das an!). Bei allem was gesagt wurde, musste man erst genau überlegen, wie man es ausdrückt und deshalb blieb "Unwichtiges" einfach aussen vor...
Küerbisse holen |
Sie hatten eine ganze Menge Schaafe und ich war z.B. dabei, als alle in einem Raum zusammengetrieben wurden (wie ängstlich Schaafe doch sind!) und schliesslich mit Brot, einzeln durch ein Tor gelockt wurden. Dabei wurden sie gezählt, begutachtet und, leider, auch die Kranken "aussortiert". Sie bekamen einen bunten Punkt auf ihr weisses Fell gesprüht. Ich sah auch dabei zu, wie ein geschlachtetes Schaaf "auseinandergenommen" wurde...
Der Hund sah auch aus wie ein Schaaf. Ich habe ihn "snowball" (Schneeball) getauft, seinen richtigen Namen habe ich vergessen... |
Alle Schaafe werden durch dieses "Tor" gelockt. |
Später wurden die lebendigen Schaafe geschoren und die relativ dreckige Schaafswolle in eine Fabrik gebracht. Als weisse, saubere Wolle kam sie zurück und dann half ich dabei, sie in grossen Töpfen in den unterschiedlichsten Farben zu färben und sie auf Rollen aufzuwickeln.
Alte Frauen strickten daraus später Strümpfe und Mützen und die waren
echt schön! Ich bekam ein Paar geschenkt als ich nach einer Woche
ging...
Wolle aufwickeln... |
...und färben. |
Abbinden und dann färben - die Wolle wird bunt gestreift. |
Mit dieser Maschiene stricken alte Frauen daraus wunderschoene bunte Mützen und Strümpfe. |
... und fertig. |
Dann wird alles verkauft. |
Einmal fuhren wir zu einer anderen Farm, auf der die Menschen wirklich sehr einfach lebten und für einen Tag Andere einluden, ihr Leben etwas genauer kennen zu lernen. Die Besitzerin lief den ganzen Tag barfuss umher, obwohl es mittlerweile Ende September war und damit regnerisch und kalt. Ausserdem hatte ich noch nie jemanden so schnell und viel am Stück reden hören wie sie. Und das auch noch in einer anderen Sprache... Ich verstand kein Wort!
Aber am Ende verstand ich doch, was wir machen sollten: Schaaffleisch und Gemüse in Alufolie einwickeln, damit es gekocht werden konnte.
Stunden vorher hatten Sie ein Feuer in einer Kuhle entfacht und dabei relativ grosse Steine erhitzt. Darauf kam nun das eingewickelte Essen, Aluminiumplatten wurden auf das Loch gelegt, obenauf die bereits heisse Asche und für ein paar weitere Stunden wurde ein neues Feuer darauf entfacht.
Es war eine langwierige Arbeit auf diese Weise Essen zu kochen, doch am Ende schmeckte es gut!
Aber immer so einfach zu leben, bei jedem Wetter vollkommen im Einklang mit der Natur zu sein - nein, das wäre ganz sicher nichts für mich, wurde mir schnell bewusst.
Wieder zurück auf der Schaaffarm, arbeitete ich jeden Tag ungefähr 5 Stunden um mir Essen und Unterkunft zu verdienen, so ist das eben beim "Woofing". Dabei schnitt ich eine grosse Menge Gemüse zum einkochen. Die unglaublichste und gewöhnungsbedürftigste Aufgabe war aber, eine blutige, etwas übel riechende Schaafslunge in kleine Teile zu schneiden! Die bekam dann der Hund zu fressen.
Die Lunge eines Schaafes.. |
... in Einzelteile geschnitten für den Hund zum fressen. |
Ja, auf einer Schaaffarm zu leben bedeuted nicht nur, mit kleinen, süssen, weissen Wolkenschäfchen zu kuscheln. Will man überleben und sich seinen Unterhalt damit verdienen, bringt man sie eben auch um und verkauft das Fleisch. Zu der Wiese, auf der die Schaafe grasten, fuhren wir immer mit einem kaputten Auto über Feldsstrassen. Das Bremspedal war ausser Kraft gesetzt und diese Aufgabe wurde nun nur noch von der Handbremse wahrgenommen. Um die Kurve herum, zog man also schnell die Handbremse an, lenkte, und "schlitterte" dann ein wenig, bis man wieder zum stehen kam. Eine sehr interessante Herangehensweise des Fahrens.
Auf dem Feld lagen dann tatsächlich überall Schaafspfoten und Kopfskelette herum, die frass ja der Hund...
überall lagen Schaafspfoten... |
Die einzige Möglichkeit den jungen, unerfahrenen Hund zum Spielen zu bewegen, war mit einem Stock, auf den man das Kopfskelett eines Schaafes steckt... |
Am Ende hatte ich noch einen unglaublich peinlichen Unfall...
Nachdem ich ewig kein Auto gefahren war, traute ich es mir immerhin zu, mit dem alten Arbeitsauto die paar Hundert Meter zum Feld und wieder zurück zu fahren....
Der Hinweg verlief auch ganz gut, aber als ich rückwärts am Berg anfahren sollte, da war ich ein wenig überfordert... Dummerweise rollte ich ein paar Mal so weit nach vorne, dass ich schliesslich schon fast IM Zaun stand. Aus Panik trat ich nun ordentlich auf das Gaspedal und als das Auto endlich nach hinten anfuhr, dachte ich für ein paar Sekunden: "Ist da schon vorher Gras auf der Strasse gewesen?" und plumps - rollte ich schön sanft, direkt neben der unglaublich breiten Strasse in den Graben!
Da wo hier das Fahrrad liegt, stand eigentlich das grosse Arbeitsauto im Graben. |
Wie blöd ich mir vorkam, das brauche ich euch sicher nicht zu beschreiben... Da borgte ich mir einmal ein Auto von fremden Menschen aus und fuhr es sofort neben einer so breiten Feldstrasse in den Graben. Es hatte zwar nicht einmal einen Kratzer abbekommen, aber es war viel zu schwer, um es allein wieder dort heraus zu bekommen.
Schweren Herzens musste ich also zu meinen Gastgebern gehen und die Tat beichten. Es war mir so unangenehm, dass mir die Tränen übers Gesicht liefen. Aber anstatt mich böse anzuschauen, hatten sie nur Mitleid mit mir und sagten, ich solle doch nicht weinen! Sie bewegten sich nicht einmal sofort von der bequemen Couch hinweg um es wieder heraus zu holen, sondern sagten nur: "Ist doch nicht so wichtig, können wir auch Morgen noch dort heraus holen". Ich war einfach nur verblüfft - von ihrer Nettigkeit. Diese Menschen meinten es wirklich gut.
Aber auch hier war ich irgendwie einsam. Ich wollte so gerne Menschen um mich herum haben, mit denen ich mich wirklich unterhalten konnte und die ich als Freunde bezeichnen durfte. Auch wenn ich in Estland so gut wie niemanden kannte - immerhin konnte ich ein paar Tagen später zu Jaak und seiner Familie zurueck fahren und war auch irgendwie froh darüber.
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