"Kanki" mit Hut |
Und so lebten wir weiter in "unserer" kleinen Farm, die man wohl
eigentlich gar nicht als richtige Farm bezeichenen kann, da es zwar noch
etliche leere Ställe gibt, aber keine Tiere mehr.
Es ist also
viel mehr ein altes Landhaus, umgeben von ein paar Beeten auf denen
Gurken, Erdbeeren, Kräuter und andere Dinge wachsen, mit ein paar Hecken
daneben, an denen schwarze und rote Johannisbeeren reifen, einem kleinen
natürlichen Teich, in dem man schwimmen gehen kann und einer ganzen
Menge Wald zum Wandern und Pilze suchen.
Johannisbeeren pflücken mit Ebe |
Da wir
kostenlos lebten und assen, arbeiteten wir so gut es ging im Haushalt
mit. Zum Beispiel backten wir Brot! Mit dem kleinen Teigrest, der vom
letzten Mal übrig geblieben war, konnten wir nun den Backprozess
starten. Butter, Hefe, Zucker zusammenmixen, eine ganze Menge Wasser und
Mehl dazu - und dann hiess es warten und warm halten.
Als
der Teig ausreichend aufgegangen war, formten wir Brote, verzierten sie
manchmal noch mit ein paar Nüssen, dann kamen sie auf den
"Holzschieber" und damit auf Backpapier in den Ofen. Das Feuer hatte
vorher schon 2 Stunden brennen müssen, nun war nichts mehr davon übrig
ausser die Wärme, die unsere Brote knusprig braun werden liess. Manchmal
auch schwarz, wenn wir einmal nicht aufgepasst hatten...
Fertig sind die selbst gebackenen Brote |
Einmal
versuchte ich echte Thüringer Klösse zu kochen. Das einzige deutsche
Buch das es in diesem Hause gab, war ein Kochbuch aus den `80er Jahren
und darin stand genau beschrieben, wie es geht.
Erst einen ganzen Berg Kartoffeln schälen und reiben.
Da
sich dieser Prozess über Stunden hinziehen kann, weil es eine
Heidenarbeit macht, werden die bereits geriebenen Kartoffeln leider vom
langen Stehen braun und bekommen somit eine eher unappetitliche Farbe,
das war zumindest meine Erfahrung.
Danach
wird der Teig durch ein Handtuch gepresst, das Wasser nicht weiter
benötigt und mit den geriebenen Kartoffeln und etwas Kartoffelbrei formt
man die Klösse. Was auch nicht ganz einfach war, sie fielen immer
wieder auseinander... Dann im Wasser kochen, fertig.
Naja,
wie man hier sehen kann sind sie grau :) 3 Stunden hatte dieser ganze
Prozess gedauert und am Ende war ich die Einzige, die sich ihnen
erbarmte und alle aufass! Sie schmeckten lange nicht so gut wie mit dem
köstlichen Teig aus dem Laden...
Das
Kochen liess ich dann lieber bleiben und machte mich im Freien
nützlich. So musste alle paar Wochen das Gras gemäht und zusammen
gerächt werden, eine Arbeit, die die Esten scheinbar sehr gerne machen -
man sieht nicht einen Garten in dem das Gras nicht kurz geschnitten ist
und egal wo man ist - das Knattern und Lärmen des Rasenmähers begleitet
Einen überall. So arbeitete ich nicht nur mit der Maschiene, ich
probierte auch die Sense aus. Dabei muss man vorsichtig sein immer auf
Bodenhöhe zu bleiben und nicht dauernd die scharfe Spitze in den Boden
zu rammen, alle paar "Striche" muss man mit einem Stein die Klinge
abschleifen um sie wieder scharf zu machen. Aber wie viel länger ich
doch brauchte als Jaak mit dem Rasenmäher! Entweder entscheidet man sich
für die Schnelligkeit und den Lärm - oder für die angenehme Ruhe, die
man dann aber auch ein paar Stunden länger geniessen muss.
Dasselbe erlebte ich bei unserem Projekt "Bäume fällen". Die kleinen, jungen Bäume sägte ich mit der Handsäge und fand daran sehr viel Gefallen. Aber die grossen, dicken Bäume sägte Jaak mit der Kettensäge, welche ich nur einmal in der Hand hielt und Angst um meine Finger hatte. Welch ein monströses, schreiendes Gerät!
Als
Jaak einmal krank war, schnitt ich nur die kleinen Äste, mit der
kleinen Säge von den Seiten des Baumes ab um mich dann an den etwas
dickeren Bäumen zu versuchen. Schweissüberströmt hatte ich eine halbe
Stunde später den Baum in Einzelteilen vor mir liegen, die Kettensäge
hätte diesen Prozess in nicht einmal einer Minute geschafft!
Ich
kam ins Grübeln. Da sah ich das einfache, natürliche Leben dem
technisierten gegenüber stehen und wusste, dass ich ganz ohne Luxus auch
nicht leben wollen würde.
Jaaks Vater Joel beim Schärfen der Sense |
Jaaks Mutti
Ebe ist eine sehr offene, gesprächige Frau und dadurch hat sie eine
Menge Freunde, die uns alle im Laufe der Sommermonate besuchen kamen.
Das witzigste war, dass die meisten von ihnen ebenfalls Lehrerinnen
waren und an derselben Schule wie sie unterrichteten. Da Jaak als Kind
ebenso an diese Schule gegangen war, traf ich nun auf seine ehemaligen
Mathe- und Russischlehrerinnen, erfuhr so manch eine Geschichte aus
seinem kunterbunten Schulleben und hatte die Möglichkeit, Jaak einmal
durch ganz andere Augen zu sehen - durch die Augen des kleinen Jungen
Jaaks, dem in den 90er Jahren in Tallinn allzu oft das Geld auf der
Strasse von ein paar Drogenabhängigen geklaut wurde, der in seinen
Lieblingsfächern einwandfrei abschnitt, aber sich für alles Andere nicht
besonders interessierte, der es schon immer mehr genossen hat im Freien
zu sein als in der kleinen, engen Zweiraumwohnung und dessen Eltern ihn
in all seinen Träumen und Plänen von Herzen unerstützten.
Mit diesen Lehrerinnen erlebte ich schöne Wochen. Zum Beispiel gingen wir wieder Pilze sammeln.
Pilze sammeln mit "Musi", sie ist die Mutter von Jaaks bestem Freund der gerade in Korea ist, seine Eltern sind ebenso die besten Freunde von Jaaks Eltern |
Oder wir machten eine Tagestour nach Lettland,
welches uns doch so nahe ist! Es dauert keine 10 Minuten und schon ist
man im anderen Land.
Dort schauten wir uns ein paar Städte an, kamen aber am Abend wieder zurück in die Heimat.
Doch bevor es wieder zur Farm ging, hielten wir noch an einem sehr interessanten Lebensort an...
Ein
dunkles Loch im Boden markiert den Eingang, er lässt sich mit einer
schweren Holzluke verschliessen. Fast senkrecht geht eine Holzleiter
hinunter und man steigt vorsichtig hinab, um nicht abzurutschen.
Dunkelheit umfasst einen und es dauerte ein paar Sekunden, bis sich die
Augen daran gewöhnt haben. Erst dann erkennt man die leichten Umrisse
von Betten, oder vielmehr "mehrstöckigen Holzpritschen"...
Neben
den Betten und dem Tisch sind auch die Wände aus Holz. Es ist kalt und
irgendwie unwohnlich, in dieser Dunkelheit ist es nicht einfach dem Gang
unter der Erde zu folgen, der einen schliesslich am anderen Ende wieder
Licht sehen lässt. Ich atme auf als ich wieder im Freien stehen, die
paar Minuten haben mir gereicht.
Aber
unglaublich - genau hier haben sich Männer bis zu 15, 20 Jahren
versteckt gehalten! Getrieben vom 2. Weltkrieg beschlossen sie sich hier
ein Leben enzurichten - sie wollten nicht als Soldaten in den Krieg
ziehen und womöglich sterben. Die Gründe sind vielzählig sich für ein
Leben unter der Erde zu entscheiden, aber es ist kein Leichtes! Nicht
eine einzige Spur darf man hinterlassen um nicht von Anwohnern oder
Soldaten entdeckt zu werden, Feuer kann nur in der Nacht gemacht werden,
wenn der Rauch nicht zu erkennen ist und Essen muss gegebenfalls von
Farmen geklaut werden, findet sich nicht genügend in der Natur. Und dann
die kalten Winter in denen es bis zu -20 Grad werden kann...
Ein dunkler Gang führt am Ende wieder hinaus aus dem Bunker |
Auf
Hinweisschildern konnte man Namen und Jahreszahlen der Versteckten
erkennen, fast alle sind entweder während ihrer Zeit im Bunker
gestorben, oder wurden nach dem Krieg festgenommen und zur Zwangsarbeit
nach Sibirien geschickt. War es das alles Wert?
Bellend
und schwanzwedelnd vor Freude begrüsste uns der Hund Kanki als wir zur
Farm zurückkehrten. Seit 7 Jahren ist er in der Familie und Jaak hat ihm
schon zweimal das Leben retten müssen, als er fast ertrank.
Genaugenommen lebt er auch nur mit Familie Jalast, weil Jaak ihn vor
Jahren seinem Freund schenkte, dessen Eltern aber streikten einen Hund
in der Wohnung aufzunehmen und eine Allergie als Grund vorschoben, ihn
zurückgeben zu können.
Es
macht unglaublich Spass mit ihm Fussball zu spielen, denn er ist
wahrhaft ein fairer Spieler und stellt sich einfach jedem einmal in den
Weg. Etliche Tore wären auf beiden Seiten schon gefallen, hätte ein
kläffender Kanki es nicht zu verhindern gewusst.
Auch
Verstecken kann man gut mit ihm spielen. Dann schiessen wir den Ball
über die Scheunen und während er läuft um ihn zurück zu bringen, rennen
wir schnell weg und verstecken uns irgendwo. Er findet uns immer und
dann folgt eine Jagd, in welcher der Hund am Ende gewöhnlich der
Schnellere ist und wir schnaufend und nach Luft ringend aufgeben müssen.
Fussball spielen mit Kanki - immer ein Erlebniss |
In diesen
Sommermonaten auf der Farm versuchten wir auch einmal den höchsten Berg
des Baltikums zu erklimmen - er ist 318 Meter hoch und nur ca. eine
Fahrstunde von uns entfernt. Aber als wir mit Jaaks Schwester und ihren
Kids dort ankamen, blieb uns nicht viel mehr übrig als in dem kleinen
Laden am Fusse des Berges zu warten - aus Wind wurde Sturm, aus ein paar
Tröpfchen Wasser wurde eine starke Regenschauer und letztendlich
endete das Ganze in schweren Hagelkörnern, die liegen blieben und uns
wie der erste Schnee erschienen, den wir in den letzten 2 Jahren gesehen
hatten. Selbst eine "Schneeballschlacht" hatten wir! Nur den "langen
und schwierigen" Aufstieg konnten wir nicht mehr antreten, nach einer
Stunde Warten fuhren wir wieder nach Hause.
Ein anderes Mal wurden Jaak und ich vom Nachbarn zum Kanu fahren eingeladen - nur für einen Tag, versteht sich. Dabei waren der Vater und seine zwei Söhne von 17 und 12 Jahren und sie brachten ein Kanu und ein Kajak. Mit dem älteren Sohn im Kanu ging es den Fluss hinunter, der uns diesmal auch etliche aufregende Stromschnellen und kleine Wasserfälle präsentierte!
Ein anderes Mal wurden Jaak und ich vom Nachbarn zum Kanu fahren eingeladen - nur für einen Tag, versteht sich. Dabei waren der Vater und seine zwei Söhne von 17 und 12 Jahren und sie brachten ein Kanu und ein Kajak. Mit dem älteren Sohn im Kanu ging es den Fluss hinunter, der uns diesmal auch etliche aufregende Stromschnellen und kleine Wasserfälle präsentierte!
Neben
dieser Aufregung gab es aber auch Phasen, in denen wir einfach nur die
Landschaft und Natur betrachteten, uns in Ruhe zurücklehnten, Kekspausen
einlegten und an einem roten Felsen anhielten, der mich doch sehr an
Australien erinnerte...
Pause am roten Felsen |
Ein kleiner Wasserfall an der alten Mühle |
Und dann war der Sommer auch schon fast wieder
vorbei. Richtig warm geworden war es nie, aber die Nächte wurden länger
und Jaaks Eltern fuhren wieder nach Tallinn um zu arbeiten. Vorher kam
aber noch der Schornsteinfeger vorbei und reinigte den alten Ofen und
die Abzüge in der Wand, von denen ich bisher gar nicht wusste, dass sie
existieren. Dann kletterte er auf das Hausdach und wir hinterher - das
konnten wir uns nicht entgehen lassen! Ein Ball mit vielen, langen
Stacheln wurde in den Schornstein hineingelassen, reinigte die Wände
und liess ihn wieder frei atmen.
Der Schornsteinfeger ist schwarz und sitzt auf dem Dach |
Das Jaaks Eltern die Farm verliessen, hiess aber nicht, dass wir
keinen Besuch mehr empfingen. Und zwar war es deutscher Besuch! Jaak
hatte dieses Mädel vor 5 Jahren in Australien kennen gelernt, als er
dort zum ersten Mal lebte und arbeitete. Danach hatten sie nie wieder
Kontakt, aber wie bei den meisten reisefreudigen Menschen war das kein
Problem - Jaak schrieb ihr einfach als wir vor ein paar Monaten in
Deutschland waren und sie trafen sich in Berlin.
Nun war sie hier
in unserer Farm und das war toll! Endlich hatte ich wieder jemanden, der
nicht nur meine Sprache versteht, sondern auch genauso chaotisch durch
die Gegend läuft, hin- und wieder tollpatschig etwas fallen lässt, das
Essen im Ofen anbrennt weil es doch soo viele ander wichtige Dinge
nebenbei zu tun gibt, und die stundenlang nach der kleinsten Kleinigkeit
im grossen Rucksack suchen muss, während der "disziplinierte" Jaak
daneben steht und dieses Verhalten einfach nicht nachvollziehen kann...
Es waren schöne Tage und neben
etlichen Spaziergängen durch den Wald, versuchten die Zwei einmal mehr
den höchsten Berg des Baltikums zu erklimmen. Aber ein weiteres Mal
spielte das Wetter verrückt und aufgrund von heftigen Regenschauern
mussten sie den Plan aufgeben.
Schon ein paar Tage später fuhr die Deutsche weiter nach Litauen, denn ihr Freund kam von dort und sie besuchten seine Familie.
Aber
noch bevor sie abgereist war, da kam auch schon der nächste deutsche
Besuch und die Beiden die nun vorbei kamen, waren garantiert nicht
weniger wichtig und ich freute mich sehr darauf sie zu sehen
- Meine Eltern!
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