Viele Monate des Reisens sind bereits vergangen, doch es ist noch nicht vorbei. Macht man sich auf die Suche, dann findet man ueberall Abenteuer! Nur los gehen muss man. Und genau das habe ich wieder vor. Wohin? Einfach immer der Nase und dem Herzen nach. Für Interessierte gibt es hier die Fortsetzung von sabsbabsundanneinaustralien.blogspot.com!

Tuesday, October 2, 2012

Der Sommer in der Farm

"Kanki" mit Hut
Und so lebten wir weiter in "unserer" kleinen Farm, die man wohl eigentlich gar nicht als richtige Farm bezeichenen kann, da es zwar noch etliche leere Ställe gibt, aber keine Tiere mehr.
Es ist also viel mehr ein altes Landhaus, umgeben von ein paar Beeten auf denen Gurken, Erdbeeren, Kräuter und andere Dinge wachsen, mit ein paar Hecken daneben, an denen schwarze und rote Johannisbeeren reifen, einem kleinen natürlichen Teich, in dem man schwimmen gehen kann und einer ganzen Menge Wald zum Wandern und Pilze suchen.

Johannisbeeren pflücken mit Ebe
  Da wir kostenlos lebten und assen, arbeiteten wir so gut es ging im Haushalt mit. Zum Beispiel backten wir Brot! Mit dem kleinen Teigrest, der vom letzten Mal übrig geblieben war, konnten wir nun den Backprozess starten. Butter, Hefe, Zucker zusammenmixen, eine ganze Menge Wasser und Mehl dazu - und dann hiess es warten und warm halten.






Als der Teig ausreichend aufgegangen war, formten wir Brote, verzierten sie manchmal noch mit ein paar Nüssen, dann kamen sie auf den "Holzschieber" und damit auf Backpapier in den Ofen. Das Feuer hatte vorher schon 2 Stunden brennen müssen, nun war nichts mehr davon übrig ausser die Wärme, die unsere Brote knusprig braun werden liess. Manchmal auch schwarz, wenn wir einmal nicht aufgepasst hatten...


Fertig sind die selbst gebackenen Brote
Einmal versuchte ich echte Thüringer Klösse zu kochen. Das einzige deutsche Buch das es in diesem Hause gab, war ein Kochbuch aus den `80er Jahren und darin stand genau beschrieben, wie es geht.
Erst einen ganzen Berg Kartoffeln schälen und reiben.


Da sich dieser Prozess über Stunden hinziehen kann, weil es eine Heidenarbeit macht, werden die bereits geriebenen Kartoffeln leider vom langen Stehen braun und bekommen somit eine eher unappetitliche Farbe, das war zumindest meine Erfahrung.


Danach wird der Teig durch ein Handtuch gepresst, das Wasser nicht weiter benötigt und mit den geriebenen Kartoffeln und etwas Kartoffelbrei formt man die Klösse. Was auch nicht ganz einfach war, sie fielen immer wieder auseinander... Dann im Wasser kochen, fertig.


Naja, wie man hier sehen kann sind sie grau :) 3 Stunden hatte dieser ganze Prozess gedauert und am Ende war ich die Einzige, die sich ihnen erbarmte und alle aufass! Sie schmeckten lange nicht so gut wie mit dem köstlichen Teig aus dem Laden...

Das Kochen liess ich dann lieber bleiben und machte mich im Freien nützlich. So musste alle paar Wochen das Gras gemäht und zusammen gerächt werden, eine Arbeit, die die Esten scheinbar sehr gerne machen - man sieht nicht einen Garten in dem das Gras nicht kurz geschnitten ist und egal wo man ist - das Knattern und Lärmen des Rasenmähers begleitet Einen überall. So arbeitete ich nicht nur mit der Maschiene, ich probierte auch die Sense aus. Dabei muss man vorsichtig sein immer auf Bodenhöhe zu bleiben und nicht dauernd die scharfe Spitze in den Boden zu rammen, alle paar "Striche" muss man mit einem Stein die Klinge abschleifen um sie wieder scharf zu machen. Aber wie viel länger ich doch brauchte als Jaak mit dem Rasenmäher! Entweder entscheidet man sich für die Schnelligkeit und den Lärm - oder für die angenehme Ruhe, die man dann aber auch ein paar Stunden länger geniessen muss.

Ruhestörender Rasenmäher oder leise Sense?



 Dasselbe erlebte ich bei unserem Projekt "Bäume fällen". Die kleinen, jungen Bäume sägte ich mit der Handsäge und fand daran sehr viel Gefallen. Aber die grossen, dicken Bäume sägte Jaak mit der Kettensäge, welche ich nur einmal in der Hand hielt und Angst um meine Finger hatte. Welch ein monströses, schreiendes Gerät!
Als Jaak einmal krank war, schnitt ich nur die kleinen Äste, mit der kleinen Säge von den Seiten des Baumes ab um mich dann an den etwas dickeren Bäumen zu versuchen. Schweissüberströmt hatte ich eine halbe Stunde später den Baum in Einzelteilen vor mir liegen, die Kettensäge hätte diesen Prozess in nicht einmal einer Minute geschafft!
Ich kam ins Grübeln. Da sah ich das einfache, natürliche Leben dem technisierten gegenüber stehen und wusste, dass ich ganz ohne Luxus auch nicht leben wollen würde.
Jaaks Vater Joel beim Schärfen der Sense
Jaaks Mutti Ebe ist eine sehr offene, gesprächige Frau und dadurch hat sie eine Menge Freunde, die uns alle im Laufe der Sommermonate besuchen kamen. Das witzigste war, dass die meisten von ihnen ebenfalls Lehrerinnen waren und an derselben Schule wie sie unterrichteten. Da Jaak als Kind ebenso an diese Schule gegangen war, traf ich nun auf seine ehemaligen Mathe- und Russischlehrerinnen, erfuhr so manch eine Geschichte aus seinem kunterbunten Schulleben und hatte die Möglichkeit, Jaak einmal durch ganz andere Augen zu sehen - durch die Augen des kleinen Jungen Jaaks, dem in den 90er Jahren in Tallinn allzu oft das Geld auf der Strasse von ein paar Drogenabhängigen geklaut wurde, der in seinen Lieblingsfächern einwandfrei abschnitt, aber sich für alles Andere nicht besonders interessierte, der es schon immer mehr genossen hat im Freien zu sein als in der kleinen, engen Zweiraumwohnung und dessen Eltern ihn in all seinen Träumen und Plänen von Herzen unerstützten.
Mit diesen  Lehrerinnen erlebte ich schöne Wochen. Zum Beispiel gingen wir wieder Pilze sammeln.

Pilze sammeln mit "Musi", sie ist die Mutter von Jaaks bestem Freund der gerade in Korea ist, seine Eltern sind ebenso die besten Freunde von Jaaks Eltern
 Oder wir machten eine Tagestour nach Lettland, welches uns doch so nahe ist! Es dauert keine 10 Minuten und schon ist man im anderen Land.


 Dort schauten wir uns ein paar Städte an, kamen aber am Abend wieder zurück in die Heimat.
Doch bevor es wieder zur Farm ging, hielten wir noch an einem sehr interessanten Lebensort an...

 
 Ein dunkles Loch im Boden markiert den Eingang, er lässt sich mit einer schweren Holzluke verschliessen. Fast senkrecht geht eine Holzleiter hinunter und man steigt vorsichtig hinab, um nicht abzurutschen. Dunkelheit umfasst einen und es dauerte ein paar Sekunden, bis sich die Augen daran gewöhnt haben. Erst dann erkennt man die leichten Umrisse von Betten, oder vielmehr "mehrstöckigen Holzpritschen"...
Neben den Betten und dem Tisch sind auch die Wände aus Holz. Es ist kalt und irgendwie unwohnlich, in dieser Dunkelheit ist es nicht einfach dem Gang unter der Erde zu folgen, der einen schliesslich am anderen Ende wieder Licht sehen lässt. Ich atme auf als ich wieder im Freien stehen, die paar Minuten haben mir gereicht.
Aber unglaublich - genau hier haben sich Männer bis zu 15, 20 Jahren versteckt gehalten! Getrieben vom 2. Weltkrieg beschlossen sie sich hier ein Leben enzurichten - sie wollten nicht als Soldaten in den Krieg ziehen und womöglich sterben. Die Gründe sind vielzählig sich für ein Leben unter der Erde zu entscheiden, aber es ist kein Leichtes! Nicht eine einzige Spur darf man hinterlassen um nicht von Anwohnern oder Soldaten entdeckt zu werden, Feuer kann nur in der Nacht gemacht werden, wenn der Rauch nicht zu erkennen ist und Essen muss gegebenfalls von Farmen geklaut werden, findet sich nicht genügend in der Natur. Und dann die kalten Winter in denen es bis zu -20 Grad werden kann...

Ein dunkler Gang führt am Ende wieder hinaus aus dem Bunker
 Auf Hinweisschildern konnte man Namen und Jahreszahlen der Versteckten erkennen, fast alle sind entweder während ihrer Zeit im Bunker gestorben, oder wurden nach dem Krieg festgenommen und zur Zwangsarbeit nach Sibirien geschickt. War es das alles Wert?

Bellend und schwanzwedelnd vor Freude begrüsste uns der Hund Kanki als wir zur Farm zurückkehrten. Seit 7 Jahren ist er in der Familie und Jaak hat ihm schon zweimal das Leben retten müssen, als er fast ertrank. Genaugenommen lebt er auch nur mit Familie Jalast, weil Jaak ihn vor Jahren seinem Freund schenkte, dessen Eltern aber streikten einen Hund in der Wohnung aufzunehmen und eine Allergie als Grund vorschoben, ihn zurückgeben zu können.
Es macht unglaublich Spass mit ihm Fussball zu spielen, denn er ist wahrhaft ein fairer Spieler und stellt sich einfach jedem einmal in den Weg. Etliche Tore wären auf beiden Seiten schon gefallen, hätte ein kläffender Kanki es nicht zu verhindern gewusst.
Auch Verstecken kann man gut mit ihm spielen. Dann schiessen wir den Ball über die Scheunen und während er läuft um ihn zurück zu bringen, rennen wir schnell weg und verstecken uns irgendwo. Er findet uns immer und dann folgt eine Jagd, in welcher der Hund am Ende gewöhnlich der Schnellere ist und wir schnaufend und nach Luft ringend aufgeben müssen.
 
Fussball spielen mit Kanki - immer ein Erlebniss
Spaziergang zur alten Mühle, Kanki war baden
In diesen Sommermonaten auf der Farm versuchten wir auch einmal den höchsten Berg des Baltikums zu erklimmen - er ist 318 Meter hoch und nur ca. eine Fahrstunde von uns entfernt. Aber als wir mit Jaaks Schwester und ihren Kids dort ankamen, blieb uns nicht viel mehr übrig als in dem kleinen Laden am Fusse des Berges zu warten - aus Wind wurde Sturm, aus ein paar Tröpfchen Wasser wurde eine starke Regenschauer und letztendlich endete das Ganze in schweren Hagelkörnern, die liegen blieben und uns wie der erste Schnee erschienen, den wir in den letzten 2 Jahren gesehen hatten. Selbst eine "Schneeballschlacht" hatten wir! Nur den "langen und schwierigen" Aufstieg konnten wir nicht mehr antreten, nach einer Stunde Warten fuhren wir wieder nach Hause.



Ein anderes Mal wurden Jaak und ich vom Nachbarn zum Kanu fahren eingeladen - nur für einen Tag, versteht sich. Dabei waren der Vater und seine zwei Söhne von 17 und 12 Jahren und sie brachten ein Kanu und ein Kajak. Mit dem älteren Sohn im Kanu ging es den Fluss hinunter, der uns diesmal auch etliche aufregende Stromschnellen und kleine Wasserfälle präsentierte!



Neben dieser Aufregung gab es aber auch Phasen, in denen wir einfach nur die Landschaft und Natur betrachteten, uns in Ruhe zurücklehnten, Kekspausen einlegten und an einem roten Felsen anhielten, der mich doch sehr an Australien erinnerte...

Pause am roten Felsen
Ein kleiner Wasserfall an der alten Mühle
Und dann war der Sommer auch schon fast wieder vorbei. Richtig warm geworden war es nie, aber die Nächte wurden länger und Jaaks Eltern fuhren wieder nach Tallinn um zu arbeiten. Vorher kam aber noch der Schornsteinfeger vorbei und reinigte den alten Ofen und die Abzüge in der Wand, von denen ich bisher gar nicht wusste, dass sie existieren. Dann kletterte er auf das Hausdach und wir hinterher - das konnten wir uns nicht entgehen lassen! Ein Ball mit vielen, langen Stacheln  wurde in den Schornstein hineingelassen, reinigte die Wände und liess ihn wieder frei atmen.

Der Schornsteinfeger ist schwarz und sitzt auf dem Dach
  Das Jaaks Eltern die Farm verliessen, hiess aber nicht, dass wir keinen Besuch mehr empfingen. Und zwar war es deutscher Besuch! Jaak hatte dieses Mädel vor 5 Jahren in Australien kennen gelernt, als er dort zum ersten Mal lebte und arbeitete. Danach hatten sie nie wieder Kontakt, aber wie bei den meisten reisefreudigen Menschen war das kein Problem - Jaak schrieb ihr einfach als wir vor ein paar Monaten in Deutschland waren und sie trafen sich in Berlin.
Nun war sie hier in unserer Farm und das war toll! Endlich hatte ich wieder jemanden, der nicht nur meine Sprache versteht, sondern auch genauso chaotisch durch die Gegend läuft, hin- und wieder tollpatschig etwas fallen lässt, das Essen im Ofen anbrennt weil es doch soo viele ander wichtige Dinge nebenbei zu tun gibt, und die stundenlang nach der kleinsten Kleinigkeit im grossen Rucksack suchen muss, während der "disziplinierte" Jaak daneben steht und dieses Verhalten einfach nicht nachvollziehen kann... 


Es waren schöne Tage und neben etlichen Spaziergängen durch den Wald, versuchten die Zwei einmal mehr den höchsten Berg des Baltikums zu erklimmen. Aber ein weiteres Mal spielte das Wetter verrückt und aufgrund von heftigen Regenschauern mussten sie den Plan aufgeben.
Schon ein paar Tage später fuhr die Deutsche weiter nach Litauen, denn ihr Freund kam von dort und sie besuchten seine Familie.


Aber noch bevor sie abgereist war, da kam auch schon der nächste deutsche Besuch und die Beiden die nun vorbei kamen, waren garantiert nicht weniger wichtig und ich freute mich sehr darauf sie zu sehen
- Meine Eltern!

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