Viele Monate des Reisens sind bereits vergangen, doch es ist noch nicht vorbei. Macht man sich auf die Suche, dann findet man ueberall Abenteuer! Nur los gehen muss man. Und genau das habe ich wieder vor. Wohin? Einfach immer der Nase und dem Herzen nach. Für Interessierte gibt es hier die Fortsetzung von sabsbabsundanneinaustralien.blogspot.com!

Sunday, October 21, 2012

Besuch von meinen Eltern

  Wie erklärt man den Weg zu einer Farm auf dem Land, wo es weder Strassennamen noch sichtbare Hausnummern gibt, wo die Häuser nicht an der Strasse stehen, sondern erst einige hundert Meter am Ende eines kleinen Weges zwischen den Bäumen hervorlugen und wo man auf den 4 km zum nächsten Ort gewöhnlich Niemanden antrifft, ausser viel zu schnell fahrenden Autos?

Die estnische Post
Meine Eltern kamen mit dem Fahrrad. Genaugenommen waren sie in Deutschland in den Zug gestiegen, mit der Fähre nach Finnland gefahren, mit einer weiteren Fähre nach Tallinn und nun kamen sie mit den Fahrrädern in ein paar Tagen vom Norden in den Süden des Landes zur Farm.
Da wir ja bereits vorher wussten, dass sie kommen würden, schickten wir ihnen eine Landkarte mit der ungefähren Bezeichnung des Weges:

"Als Erstes kommt ihr in das Dorf genannt Krabi."

"Ihr folgt ca. 1,5 km der Hauptstrasse, dann steht auf der rechten Seite ein grosser Nadelbaum und auf der linken Strassenseite ein oranger Briefkasten. Vergewissert euch, dass der Name der nächsten Bushaltestelle "Tikutaja" ist."



"Dann fahrt wieder ein Stück zurück und nehmt den Feldweg am grossen Nadelbaum, nach ein paar Hundert Metern solltet ihr das gelbe Haus zwischen den Bäumen hervorlugen sehen und der Hund Kanki wird euch freudig entgegen springen."
 
Der Weg zu unserem Haus
Tatsächlich - Sie fanden es ohne grosse Probleme und auf einmal standen sie da, meine Eltern in meinem "zu Hause" in Estland! Das war ein schöner Moment und wie jedes Mal in solchen Situationen, konnte ich ihn gar nicht richtig begreifen.
 
 

 Aber wir empfingen sie mit einem leckeren Essen und überraschten sie mit einem Bett in dem sie schlafen konnten - sie hatten angenommen ihr Zelt bei uns im Garten aufbauen zu müssen! Bei unter 0 Grad in der letzten Nacht, waren das sicher keine guten Aussichten gewesen...

Der grösste Raum im Haus
Unser Schlafzimmer auf dem Dachboden
Der "Fernseh - und Bücherraum"
Die Küche
Es war schön einmal die Erfahrung zu machen, dass sie in "mein Leben" hierher kommen. Dass ich ihnen zeigen konnte, wo das Holz zum Feuer machen liegt und wie man im Ofen das Essen während des Backens immer wieder drehen muss, damit es nicht schwarz wird von der starken Hitze des Feuers. Oder das man in Estland zu JEDER Mahlzeit Brot dazu reicht und fast JEDE Sosse aus saurer Sahne besteht. Oder wie man Familienspezialitäten backt...





Die Männer wurden danach natürlich zum Abwaschen eingeteilt.




Denn ich Deutschland waren es doch eine ganze Menge Leute gewesen, die mir nach einer solch langen Zeit wieder begegnet waren. Jeder hatte sein eigenes Leben, jedes Leben war weiter gegangen und jedes Leben war anders. Und weil ich etliche Leute besuchte, sah ich wie verschieden diese Freunde, Verwandte und Bekannte doch lebten und wie sie entweder glücklich damit waren - oder eben nicht. Irgendwie und irgendwann findet wohl jeder seinen Weg und seinen Platz in der Welt.
Auch mein Weg ist verschieden von Anderen und als ich all diese Leben sah, wusste ich, dass mein Weg wohl nicht genauso sein wird wie der von den Menschen, die mir begegneten. Aber wie er sein wird?
Das weiss ich noch immer nicht und diese Frage geht mir seit Monaten nicht aus dem Kopf und verunsichert mich zu gewissen Zeiten auch. 
Im Moment aber war diese Farm in Estland mein Platz und auch wenn ich nicht für immer hier leben könnte, für eine Weile ist es doch ziemlich angenehm.

Mein Vater beim Feuer machen in der Sauna
Aber ich zeigte ihnen noch mehr von meinem Leben hier und Jaak als Einheimischen dabei zu haben, war natürlich ungemein praktisch. Denn das ist, wie ich finde, immer noch der beste Weg ein Land zu bereisen: Wenn man jemanden dort kennt, der einen herum führen kann.

Und so erstiegen wir im 3. Versuch endlich den höchsten Berg im Baltikum mit seinen 318 Metern! Der Aufstieg dauerte ca. 7 Minuten.



Auf dem höchsten Berg in Estland und im Baltikum! Da ist Deutschland ja schon fast in der Ferne sichtbar ;)

Was mich dann doch an der Technik faszinierte: Man konnte von dort oben bunte Postkarten vom Berg per Email  versenden! Ja, im Internt sind die Esten bestimmt nicht hinterher... Nur etwas ungücklich, dass unsere Farm im Süden wohl zu dem einen Prozent gehört, der eben nicht perfekt an das Internetsystem angeschlossen ist und unser Kontakt zur Aussenwelt normalerweise sehr eingeschränkt ist.


Um die paar Stufen im Turm hinauf zu gehen, muss man natürlich bezahlen

 Dann ging ich mit Ihnen Pilze sammeln. Aber Pilze wachsen ja nicht einfach überall! Sie wollen Nässe, mögen Moos und nicht zu viel Sonne und Licht. Ausserdem haben sie ihre Plätze, an denen sie jedes Jahr, zur ungefähr gleichen Zeit auftauchen.
Jaaks Mutti scheint diese Plätze alle zu finden, auch wenn sie noch so sehr im Dickicht versteckt sind und ich bereits komplett die Orientierung verloren habe. Und weil ich besorgt war, ohne ihre Hilfe keine Pilze finden zu können, aber meine Eltern nicht leer ausgehen sollten, liessen wir einfach ein paar stehen, die ungemein einfach zu finden waren.

Das ist vielleicht kein essbarer Pilz, also nicht einfach sammeln weil ihr ihn hier auf dem Foto seht!

Zumindest dachten wir das.
Am Ende erkannte ich so viele Plätze wieder, dass wir zwei oder drei volle Körbe gesammelt hatten! Nur die Pilze, die wir extra dafür stehen gelassen hatten, die konnte ich einfach nicht wieder finden...
 
Pilze putzen
Unser erster Ausflug zu dem See, auf dessen einer Seite Estland ist und auf der anderen Lettland, wurde eine Wanderung im Matsch und Regen, denn das Wetter war die ganze Woche nicht wirklich schön und sommerlich.



Aber immerhin konnten wir ihnen ein altes, unbewohntes, zerfallenes Haus zeigen, wie sie hier doch an jeder Ecke zu finden sind.



Das nächste Mal fuhren wir mit Fahrrädern zum See, die Sonne schien und meine Eltern schwammen von Estland nach Lettland und wieder zurück, wie auch ich es bereits vorher getan hatte.

Einmal nach Lettland und zurück




Dann schaukelten wir auf der Riesenschaukel, sahen uns alte Gemäuer an und statteten dem ungewöhnlichem Lebensort der Soldaten unter der Erde einen Besuch ab, von dem ich ja bereits im letzten Blogeintrag schrieb.







Am schockiertesten dort waren meine Eltern von den riesigen Mengen an Holz, die für ein normales Lagerfeuer verbrannt wurden. Es war wohl eine Feier einer grossen Gruppe von Menschen und da es in Estland bestimmt nicht an Holz mangelt, wurde ordentlich aufgetragen.



Gleich vor der Haustür im Grünen schnitt mir meine Mutti die Haare und versuchte meine, immer noch trockene und ungesunde Mähne, etwas aufzupeppeln. Nur die Spitzen kamen ab und Kanki, der Hund, tat was er am Besten kann: Im Weg stehen. Bald hatte er zu seinem schwarzen Fell also auch noch ein paar blonde Locken bekommen.

Spitzen schneiden
Allgemein hat der Hund uns immer wieder zum Lachen gebracht, als er wie immer direkt vor der Tür lag und sich auch dann nicht bewegte, wenn man ihm bereits die Tür in den Po schob. Oder wenn er die Treppe blockierte, auf der man wieder aus dem See kommen kann. Dann hält man ihm ein paar Hände voll Wasser hin, die er freudig schleckt, bevor er Einen ohne Probleme durchlässt.




Doch einer der interessantesten Plätze ist immer noch das Feuchtgebiet gleich in der Nähe, welches ich als solches noch nie in Deutschland oder anderswo gesehen habe.



Man läuft über einen, vom Menschen angebrachten, Holzsteg und begegnet als erstes kleinen, krüppligen Bäumen, die aber, wunderlicherweise, teilweise uralt sind!



Der Boden daneben ist nass und Gummistiefel sind unglaublich praktisch. Jaak erzählte von Plätzen an denen man tatsächlich versinkt, weil unter dem Wasser und Moos Schlamm ist, aus dem man nicht ohne Hilfe wieder hinaus kommt! Gruselig, aber ich glaube solche Plätze gibt es hier in der Nähe nicht...
Aber dafür eine fleischfressende Pflanze! Sie ist winzig und ohne ein Hinweisschild, würde man sie wohl kaum entdecken. Unseren Fingern kann sie nichts tun, aber lässt sich ein Insekt auf ihr nieder, klebt es fest und wird langsam verdaut.

Eine kleine, fleischfressende Pflanze


Dann kommt man zu einem See von dunkler Farbe. Er ist verdammt kalt, es geht schnell und steil hinein, das Wasser schmeckt nach nichts und wegen dem ganzen feuchten Land um ihn herum, ging ich persönlich nicht baden. Aber die Männer taten es trotzdem.




Und dann ist man auch schon bei dem kleinen Häuschen angelangt! Es steht mitten im Wald, auf einer kleinen "Insel" könnte man sagen, denn hier ist der Boden trocken. Ich finde es unglaublich nett von den Esten, dass sie solche Häuschen überall in Estland und für Jeden zugänglich bauen und unterhalten, in denen man gerne eine kostenlose Nacht in der Natur verbringen darf. Es gibt Feuerholz und einen kleinen Ofen. Man kann sich also wärmen, Essen kochen und auf Holzbetten schlafen. Natürlich darf auch das Plumpsklo nicht fehlen.



Ich übe mich wieder im Holz hacken

Um das Häuschen herum stehen ein paar gruselig aussehende Gesellen aus Holz. Irgendein Künstler hat ihnen hier wohl ein neues zu Hause geben wollen.



Als wir weiter gingen, war schon beim letzten Mal der Steg überflutet gewesen und wir waren nur langsam voran gekommen. Jetzt gingen wir einen etwas anderen Weg, aber es war nicht anders. Man stelle sich vor auf einem Steg zu laufen, den man aber nicht sehen kann. Neben sich sieht man keinen Grund, obwohl er womöglich da ist, aber wegen dem ganzen Wasser ist er nicht zu erkennen. Zusätzlich haben sich all die glitschigen Pflanzen darauf festgesetzt und man kann seine Füsse nur langsam und schleifend fortbewegen, sonst rutscht man sofort aus.



Als wir zu diesem grossen Feld kamen, waren alle Bäume gestorben oder am Untergehen. Schuld sind die Biber, die weltweit unter Naturschutz stehen, aber in Estland eigentlich eine Plage sind. Durch ihre Dämme staut sich das Wasser, überflutet Wälder und Wiesen und die Bäume und Pflanzen können nicht mehr leben. Hier sah man nun nichts weiter als Wasser und darin herausragende Bäume ohne Blätter. Ich wagte mich noch ein Stück alleine voran, aber der unsichtbare Steg veschwand irgendwann so weit, dass mir das Wasser fast oben in die Stiefel lief. Na gut, das war dann doch zu risikoreich und ich gab es auf. Aber welch ein Abenteuer!



Am Wochenende kamen dann Jaaks Eltern zu Besuch und das war tatsächlich aufregend, mir verschlug es im ersten Moment die Sprache. Das diese Situation nun tatsächlich eingetreten war! Unsere Eltern lernten sich nun hier in Estland kennen und es war solch ein Mix von Sprachen und Nationen! Ein paar Bröckchen deutsch, ein paar Bröckchen estnisch, ein paar Wörtchen russisch von früher und der recht erfolgreiche Versuch in der englischen Sprache zu reden... Wir hielten uns alle tapfer! Es war unglaublich interessant anzusehen, wie wir doch auch ohne dieselbe Sprache kommunizieren konnten und es bedeutete mir wirklich sehr viel, das sich unsere Eltern gut verstanden.



Dann zeigte Jaaks Vater uns auch endlich das faszinierende Geheimniss seiner täglichen Arbeit: Mit der Wünschelrute Wasser suchen! Eine der Wünschelruten sah aus, wie ich sie von Bildern kannte. Zwei hölzerne, biegsame Stöcker, die vorne zusammen gebunden sind. Man hält sie waagerecht zum Körper vor sich her und läuft, die hinteren Enden drückt man mit den Händen auseinander.Findet man Wasser schlägt sie wie wild aus, wackelt von oben nach unten, hin und her.
Die andere Wünschelrute scheint mehr mit Magnetfeldern zu wirken. Sie ist aus Metall, in der Form eines Vierecks, dem der obere Strich fehlt. Man hält die mittlere Seite fest umschlossen, so, dass die beiden anderen Seiten oben und unten vom Körper weg zeigen. Dann läuft man und ich machte tatsächlich die Erfahrung, dass sich die Gabel immer wieder nach rechts oder links dreht. Die hölzerne Wünschelrute hat bei Joel auch am Brunnen ausgeschlagen.
Es scheint verwirrend und man läuft immer wieder in die verschiedensten Richtungen, folgt man der Gabel, aber es kostet eine Menge Übung um erfolgreich zu sein. Immerhin kann sich Joel damit täglich sein Brot verdienen, seit vielen, vielen Jahren und hat dafür auch viele, viele Jahre geprobt.




Für die letzten zwei Nächte verliessen wir die Farm und fuhren nach Tallinn. Meine Eltern mit dem Fahrrad und mit dem Zug, Jaak und ich mit dem Auto, wo wir auch den Hund Kanki mitnahmen, und Jaaks Eltern im Bus.

Wir blieben noch in Estland, aber verliessen den Kreis "Võru"

Da sind die Fahrräder festgebunden im Zug
Meine Eltern übernachteten zwar im Hostel, denn die Wohnung wäre für so viele Menschen zu klein gewesen, aber sie konnten nun auch diesen Teil meines "jetzigen Lebens" sehen. Den grauen, tristen Stadtteil "Lasnamäe" in der Hauptstadt Tallinn, in der die Wohnung von Jaaks Familie ist.
 


Wir gingen auch wieder in das "open-air" Museum in dem man alte, estnische Häuser sehen kann und dabei durch einen kleinen Wald läuft. Es war wieder schön, aber zweimal in ein paar Monaten reicht dann doch aus, sonst wird es schnell langweilig.



Dieses Pferd wurde ja dann fast ein bisschen aggressiv...


So sieht es also aus, wenn die Eltern die Schulbank drücken.
Dann hiess es Abschied nehmen. Meine Eltern fuhren am frühen Morgen mit der Fähre zurück nach Helsinki und dann nach Deutschland. Sie machten die Erfahrung, dass die selbst gebaute Sauna in "unserer" Farm eine grossartige Einrichtung ist, mit der Sauna auf der Fähre kaum zu vergleichen.
Natürlich flossen Tränen beim verabschieden. Aber trotz allem trafen wir die glückliche Entscheidung, dass meine Eltern froh waren wieder in ihr Leben in Deutschland zurückkehren zu können und ich glücklich meinem Leben hier weiter nachging. So wussten wir, dass alles gut war.
Nur meine Schuhe hatten diese abenteuerliche Woche nicht unbeschadet überstanden.


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