Viele Monate des Reisens sind bereits vergangen, doch es ist noch nicht vorbei. Macht man sich auf die Suche, dann findet man ueberall Abenteuer! Nur los gehen muss man. Und genau das habe ich wieder vor. Wohin? Einfach immer der Nase und dem Herzen nach. Für Interessierte gibt es hier die Fortsetzung von sabsbabsundanneinaustralien.blogspot.com!

Sunday, October 21, 2012

Besuch von meinen Eltern

  Wie erklärt man den Weg zu einer Farm auf dem Land, wo es weder Strassennamen noch sichtbare Hausnummern gibt, wo die Häuser nicht an der Strasse stehen, sondern erst einige hundert Meter am Ende eines kleinen Weges zwischen den Bäumen hervorlugen und wo man auf den 4 km zum nächsten Ort gewöhnlich Niemanden antrifft, ausser viel zu schnell fahrenden Autos?

Die estnische Post
Meine Eltern kamen mit dem Fahrrad. Genaugenommen waren sie in Deutschland in den Zug gestiegen, mit der Fähre nach Finnland gefahren, mit einer weiteren Fähre nach Tallinn und nun kamen sie mit den Fahrrädern in ein paar Tagen vom Norden in den Süden des Landes zur Farm.
Da wir ja bereits vorher wussten, dass sie kommen würden, schickten wir ihnen eine Landkarte mit der ungefähren Bezeichnung des Weges:

"Als Erstes kommt ihr in das Dorf genannt Krabi."

"Ihr folgt ca. 1,5 km der Hauptstrasse, dann steht auf der rechten Seite ein grosser Nadelbaum und auf der linken Strassenseite ein oranger Briefkasten. Vergewissert euch, dass der Name der nächsten Bushaltestelle "Tikutaja" ist."



"Dann fahrt wieder ein Stück zurück und nehmt den Feldweg am grossen Nadelbaum, nach ein paar Hundert Metern solltet ihr das gelbe Haus zwischen den Bäumen hervorlugen sehen und der Hund Kanki wird euch freudig entgegen springen."
 
Der Weg zu unserem Haus
Tatsächlich - Sie fanden es ohne grosse Probleme und auf einmal standen sie da, meine Eltern in meinem "zu Hause" in Estland! Das war ein schöner Moment und wie jedes Mal in solchen Situationen, konnte ich ihn gar nicht richtig begreifen.
 
 

 Aber wir empfingen sie mit einem leckeren Essen und überraschten sie mit einem Bett in dem sie schlafen konnten - sie hatten angenommen ihr Zelt bei uns im Garten aufbauen zu müssen! Bei unter 0 Grad in der letzten Nacht, waren das sicher keine guten Aussichten gewesen...

Der grösste Raum im Haus
Unser Schlafzimmer auf dem Dachboden
Der "Fernseh - und Bücherraum"
Die Küche
Es war schön einmal die Erfahrung zu machen, dass sie in "mein Leben" hierher kommen. Dass ich ihnen zeigen konnte, wo das Holz zum Feuer machen liegt und wie man im Ofen das Essen während des Backens immer wieder drehen muss, damit es nicht schwarz wird von der starken Hitze des Feuers. Oder das man in Estland zu JEDER Mahlzeit Brot dazu reicht und fast JEDE Sosse aus saurer Sahne besteht. Oder wie man Familienspezialitäten backt...





Die Männer wurden danach natürlich zum Abwaschen eingeteilt.




Denn ich Deutschland waren es doch eine ganze Menge Leute gewesen, die mir nach einer solch langen Zeit wieder begegnet waren. Jeder hatte sein eigenes Leben, jedes Leben war weiter gegangen und jedes Leben war anders. Und weil ich etliche Leute besuchte, sah ich wie verschieden diese Freunde, Verwandte und Bekannte doch lebten und wie sie entweder glücklich damit waren - oder eben nicht. Irgendwie und irgendwann findet wohl jeder seinen Weg und seinen Platz in der Welt.
Auch mein Weg ist verschieden von Anderen und als ich all diese Leben sah, wusste ich, dass mein Weg wohl nicht genauso sein wird wie der von den Menschen, die mir begegneten. Aber wie er sein wird?
Das weiss ich noch immer nicht und diese Frage geht mir seit Monaten nicht aus dem Kopf und verunsichert mich zu gewissen Zeiten auch. 
Im Moment aber war diese Farm in Estland mein Platz und auch wenn ich nicht für immer hier leben könnte, für eine Weile ist es doch ziemlich angenehm.

Mein Vater beim Feuer machen in der Sauna
Aber ich zeigte ihnen noch mehr von meinem Leben hier und Jaak als Einheimischen dabei zu haben, war natürlich ungemein praktisch. Denn das ist, wie ich finde, immer noch der beste Weg ein Land zu bereisen: Wenn man jemanden dort kennt, der einen herum führen kann.

Und so erstiegen wir im 3. Versuch endlich den höchsten Berg im Baltikum mit seinen 318 Metern! Der Aufstieg dauerte ca. 7 Minuten.



Auf dem höchsten Berg in Estland und im Baltikum! Da ist Deutschland ja schon fast in der Ferne sichtbar ;)

Was mich dann doch an der Technik faszinierte: Man konnte von dort oben bunte Postkarten vom Berg per Email  versenden! Ja, im Internt sind die Esten bestimmt nicht hinterher... Nur etwas ungücklich, dass unsere Farm im Süden wohl zu dem einen Prozent gehört, der eben nicht perfekt an das Internetsystem angeschlossen ist und unser Kontakt zur Aussenwelt normalerweise sehr eingeschränkt ist.


Um die paar Stufen im Turm hinauf zu gehen, muss man natürlich bezahlen

 Dann ging ich mit Ihnen Pilze sammeln. Aber Pilze wachsen ja nicht einfach überall! Sie wollen Nässe, mögen Moos und nicht zu viel Sonne und Licht. Ausserdem haben sie ihre Plätze, an denen sie jedes Jahr, zur ungefähr gleichen Zeit auftauchen.
Jaaks Mutti scheint diese Plätze alle zu finden, auch wenn sie noch so sehr im Dickicht versteckt sind und ich bereits komplett die Orientierung verloren habe. Und weil ich besorgt war, ohne ihre Hilfe keine Pilze finden zu können, aber meine Eltern nicht leer ausgehen sollten, liessen wir einfach ein paar stehen, die ungemein einfach zu finden waren.

Das ist vielleicht kein essbarer Pilz, also nicht einfach sammeln weil ihr ihn hier auf dem Foto seht!

Zumindest dachten wir das.
Am Ende erkannte ich so viele Plätze wieder, dass wir zwei oder drei volle Körbe gesammelt hatten! Nur die Pilze, die wir extra dafür stehen gelassen hatten, die konnte ich einfach nicht wieder finden...
 
Pilze putzen
Unser erster Ausflug zu dem See, auf dessen einer Seite Estland ist und auf der anderen Lettland, wurde eine Wanderung im Matsch und Regen, denn das Wetter war die ganze Woche nicht wirklich schön und sommerlich.



Aber immerhin konnten wir ihnen ein altes, unbewohntes, zerfallenes Haus zeigen, wie sie hier doch an jeder Ecke zu finden sind.



Das nächste Mal fuhren wir mit Fahrrädern zum See, die Sonne schien und meine Eltern schwammen von Estland nach Lettland und wieder zurück, wie auch ich es bereits vorher getan hatte.

Einmal nach Lettland und zurück




Dann schaukelten wir auf der Riesenschaukel, sahen uns alte Gemäuer an und statteten dem ungewöhnlichem Lebensort der Soldaten unter der Erde einen Besuch ab, von dem ich ja bereits im letzten Blogeintrag schrieb.







Am schockiertesten dort waren meine Eltern von den riesigen Mengen an Holz, die für ein normales Lagerfeuer verbrannt wurden. Es war wohl eine Feier einer grossen Gruppe von Menschen und da es in Estland bestimmt nicht an Holz mangelt, wurde ordentlich aufgetragen.



Gleich vor der Haustür im Grünen schnitt mir meine Mutti die Haare und versuchte meine, immer noch trockene und ungesunde Mähne, etwas aufzupeppeln. Nur die Spitzen kamen ab und Kanki, der Hund, tat was er am Besten kann: Im Weg stehen. Bald hatte er zu seinem schwarzen Fell also auch noch ein paar blonde Locken bekommen.

Spitzen schneiden
Allgemein hat der Hund uns immer wieder zum Lachen gebracht, als er wie immer direkt vor der Tür lag und sich auch dann nicht bewegte, wenn man ihm bereits die Tür in den Po schob. Oder wenn er die Treppe blockierte, auf der man wieder aus dem See kommen kann. Dann hält man ihm ein paar Hände voll Wasser hin, die er freudig schleckt, bevor er Einen ohne Probleme durchlässt.




Doch einer der interessantesten Plätze ist immer noch das Feuchtgebiet gleich in der Nähe, welches ich als solches noch nie in Deutschland oder anderswo gesehen habe.



Man läuft über einen, vom Menschen angebrachten, Holzsteg und begegnet als erstes kleinen, krüppligen Bäumen, die aber, wunderlicherweise, teilweise uralt sind!



Der Boden daneben ist nass und Gummistiefel sind unglaublich praktisch. Jaak erzählte von Plätzen an denen man tatsächlich versinkt, weil unter dem Wasser und Moos Schlamm ist, aus dem man nicht ohne Hilfe wieder hinaus kommt! Gruselig, aber ich glaube solche Plätze gibt es hier in der Nähe nicht...
Aber dafür eine fleischfressende Pflanze! Sie ist winzig und ohne ein Hinweisschild, würde man sie wohl kaum entdecken. Unseren Fingern kann sie nichts tun, aber lässt sich ein Insekt auf ihr nieder, klebt es fest und wird langsam verdaut.

Eine kleine, fleischfressende Pflanze


Dann kommt man zu einem See von dunkler Farbe. Er ist verdammt kalt, es geht schnell und steil hinein, das Wasser schmeckt nach nichts und wegen dem ganzen feuchten Land um ihn herum, ging ich persönlich nicht baden. Aber die Männer taten es trotzdem.




Und dann ist man auch schon bei dem kleinen Häuschen angelangt! Es steht mitten im Wald, auf einer kleinen "Insel" könnte man sagen, denn hier ist der Boden trocken. Ich finde es unglaublich nett von den Esten, dass sie solche Häuschen überall in Estland und für Jeden zugänglich bauen und unterhalten, in denen man gerne eine kostenlose Nacht in der Natur verbringen darf. Es gibt Feuerholz und einen kleinen Ofen. Man kann sich also wärmen, Essen kochen und auf Holzbetten schlafen. Natürlich darf auch das Plumpsklo nicht fehlen.



Ich übe mich wieder im Holz hacken

Um das Häuschen herum stehen ein paar gruselig aussehende Gesellen aus Holz. Irgendein Künstler hat ihnen hier wohl ein neues zu Hause geben wollen.



Als wir weiter gingen, war schon beim letzten Mal der Steg überflutet gewesen und wir waren nur langsam voran gekommen. Jetzt gingen wir einen etwas anderen Weg, aber es war nicht anders. Man stelle sich vor auf einem Steg zu laufen, den man aber nicht sehen kann. Neben sich sieht man keinen Grund, obwohl er womöglich da ist, aber wegen dem ganzen Wasser ist er nicht zu erkennen. Zusätzlich haben sich all die glitschigen Pflanzen darauf festgesetzt und man kann seine Füsse nur langsam und schleifend fortbewegen, sonst rutscht man sofort aus.



Als wir zu diesem grossen Feld kamen, waren alle Bäume gestorben oder am Untergehen. Schuld sind die Biber, die weltweit unter Naturschutz stehen, aber in Estland eigentlich eine Plage sind. Durch ihre Dämme staut sich das Wasser, überflutet Wälder und Wiesen und die Bäume und Pflanzen können nicht mehr leben. Hier sah man nun nichts weiter als Wasser und darin herausragende Bäume ohne Blätter. Ich wagte mich noch ein Stück alleine voran, aber der unsichtbare Steg veschwand irgendwann so weit, dass mir das Wasser fast oben in die Stiefel lief. Na gut, das war dann doch zu risikoreich und ich gab es auf. Aber welch ein Abenteuer!



Am Wochenende kamen dann Jaaks Eltern zu Besuch und das war tatsächlich aufregend, mir verschlug es im ersten Moment die Sprache. Das diese Situation nun tatsächlich eingetreten war! Unsere Eltern lernten sich nun hier in Estland kennen und es war solch ein Mix von Sprachen und Nationen! Ein paar Bröckchen deutsch, ein paar Bröckchen estnisch, ein paar Wörtchen russisch von früher und der recht erfolgreiche Versuch in der englischen Sprache zu reden... Wir hielten uns alle tapfer! Es war unglaublich interessant anzusehen, wie wir doch auch ohne dieselbe Sprache kommunizieren konnten und es bedeutete mir wirklich sehr viel, das sich unsere Eltern gut verstanden.



Dann zeigte Jaaks Vater uns auch endlich das faszinierende Geheimniss seiner täglichen Arbeit: Mit der Wünschelrute Wasser suchen! Eine der Wünschelruten sah aus, wie ich sie von Bildern kannte. Zwei hölzerne, biegsame Stöcker, die vorne zusammen gebunden sind. Man hält sie waagerecht zum Körper vor sich her und läuft, die hinteren Enden drückt man mit den Händen auseinander.Findet man Wasser schlägt sie wie wild aus, wackelt von oben nach unten, hin und her.
Die andere Wünschelrute scheint mehr mit Magnetfeldern zu wirken. Sie ist aus Metall, in der Form eines Vierecks, dem der obere Strich fehlt. Man hält die mittlere Seite fest umschlossen, so, dass die beiden anderen Seiten oben und unten vom Körper weg zeigen. Dann läuft man und ich machte tatsächlich die Erfahrung, dass sich die Gabel immer wieder nach rechts oder links dreht. Die hölzerne Wünschelrute hat bei Joel auch am Brunnen ausgeschlagen.
Es scheint verwirrend und man läuft immer wieder in die verschiedensten Richtungen, folgt man der Gabel, aber es kostet eine Menge Übung um erfolgreich zu sein. Immerhin kann sich Joel damit täglich sein Brot verdienen, seit vielen, vielen Jahren und hat dafür auch viele, viele Jahre geprobt.




Für die letzten zwei Nächte verliessen wir die Farm und fuhren nach Tallinn. Meine Eltern mit dem Fahrrad und mit dem Zug, Jaak und ich mit dem Auto, wo wir auch den Hund Kanki mitnahmen, und Jaaks Eltern im Bus.

Wir blieben noch in Estland, aber verliessen den Kreis "Võru"

Da sind die Fahrräder festgebunden im Zug
Meine Eltern übernachteten zwar im Hostel, denn die Wohnung wäre für so viele Menschen zu klein gewesen, aber sie konnten nun auch diesen Teil meines "jetzigen Lebens" sehen. Den grauen, tristen Stadtteil "Lasnamäe" in der Hauptstadt Tallinn, in der die Wohnung von Jaaks Familie ist.
 


Wir gingen auch wieder in das "open-air" Museum in dem man alte, estnische Häuser sehen kann und dabei durch einen kleinen Wald läuft. Es war wieder schön, aber zweimal in ein paar Monaten reicht dann doch aus, sonst wird es schnell langweilig.



Dieses Pferd wurde ja dann fast ein bisschen aggressiv...


So sieht es also aus, wenn die Eltern die Schulbank drücken.
Dann hiess es Abschied nehmen. Meine Eltern fuhren am frühen Morgen mit der Fähre zurück nach Helsinki und dann nach Deutschland. Sie machten die Erfahrung, dass die selbst gebaute Sauna in "unserer" Farm eine grossartige Einrichtung ist, mit der Sauna auf der Fähre kaum zu vergleichen.
Natürlich flossen Tränen beim verabschieden. Aber trotz allem trafen wir die glückliche Entscheidung, dass meine Eltern froh waren wieder in ihr Leben in Deutschland zurückkehren zu können und ich glücklich meinem Leben hier weiter nachging. So wussten wir, dass alles gut war.
Nur meine Schuhe hatten diese abenteuerliche Woche nicht unbeschadet überstanden.


Tuesday, October 2, 2012

Der Sommer in der Farm

"Kanki" mit Hut
Und so lebten wir weiter in "unserer" kleinen Farm, die man wohl eigentlich gar nicht als richtige Farm bezeichenen kann, da es zwar noch etliche leere Ställe gibt, aber keine Tiere mehr.
Es ist also viel mehr ein altes Landhaus, umgeben von ein paar Beeten auf denen Gurken, Erdbeeren, Kräuter und andere Dinge wachsen, mit ein paar Hecken daneben, an denen schwarze und rote Johannisbeeren reifen, einem kleinen natürlichen Teich, in dem man schwimmen gehen kann und einer ganzen Menge Wald zum Wandern und Pilze suchen.

Johannisbeeren pflücken mit Ebe
  Da wir kostenlos lebten und assen, arbeiteten wir so gut es ging im Haushalt mit. Zum Beispiel backten wir Brot! Mit dem kleinen Teigrest, der vom letzten Mal übrig geblieben war, konnten wir nun den Backprozess starten. Butter, Hefe, Zucker zusammenmixen, eine ganze Menge Wasser und Mehl dazu - und dann hiess es warten und warm halten.






Als der Teig ausreichend aufgegangen war, formten wir Brote, verzierten sie manchmal noch mit ein paar Nüssen, dann kamen sie auf den "Holzschieber" und damit auf Backpapier in den Ofen. Das Feuer hatte vorher schon 2 Stunden brennen müssen, nun war nichts mehr davon übrig ausser die Wärme, die unsere Brote knusprig braun werden liess. Manchmal auch schwarz, wenn wir einmal nicht aufgepasst hatten...


Fertig sind die selbst gebackenen Brote
Einmal versuchte ich echte Thüringer Klösse zu kochen. Das einzige deutsche Buch das es in diesem Hause gab, war ein Kochbuch aus den `80er Jahren und darin stand genau beschrieben, wie es geht.
Erst einen ganzen Berg Kartoffeln schälen und reiben.


Da sich dieser Prozess über Stunden hinziehen kann, weil es eine Heidenarbeit macht, werden die bereits geriebenen Kartoffeln leider vom langen Stehen braun und bekommen somit eine eher unappetitliche Farbe, das war zumindest meine Erfahrung.


Danach wird der Teig durch ein Handtuch gepresst, das Wasser nicht weiter benötigt und mit den geriebenen Kartoffeln und etwas Kartoffelbrei formt man die Klösse. Was auch nicht ganz einfach war, sie fielen immer wieder auseinander... Dann im Wasser kochen, fertig.


Naja, wie man hier sehen kann sind sie grau :) 3 Stunden hatte dieser ganze Prozess gedauert und am Ende war ich die Einzige, die sich ihnen erbarmte und alle aufass! Sie schmeckten lange nicht so gut wie mit dem köstlichen Teig aus dem Laden...

Das Kochen liess ich dann lieber bleiben und machte mich im Freien nützlich. So musste alle paar Wochen das Gras gemäht und zusammen gerächt werden, eine Arbeit, die die Esten scheinbar sehr gerne machen - man sieht nicht einen Garten in dem das Gras nicht kurz geschnitten ist und egal wo man ist - das Knattern und Lärmen des Rasenmähers begleitet Einen überall. So arbeitete ich nicht nur mit der Maschiene, ich probierte auch die Sense aus. Dabei muss man vorsichtig sein immer auf Bodenhöhe zu bleiben und nicht dauernd die scharfe Spitze in den Boden zu rammen, alle paar "Striche" muss man mit einem Stein die Klinge abschleifen um sie wieder scharf zu machen. Aber wie viel länger ich doch brauchte als Jaak mit dem Rasenmäher! Entweder entscheidet man sich für die Schnelligkeit und den Lärm - oder für die angenehme Ruhe, die man dann aber auch ein paar Stunden länger geniessen muss.

Ruhestörender Rasenmäher oder leise Sense?



 Dasselbe erlebte ich bei unserem Projekt "Bäume fällen". Die kleinen, jungen Bäume sägte ich mit der Handsäge und fand daran sehr viel Gefallen. Aber die grossen, dicken Bäume sägte Jaak mit der Kettensäge, welche ich nur einmal in der Hand hielt und Angst um meine Finger hatte. Welch ein monströses, schreiendes Gerät!
Als Jaak einmal krank war, schnitt ich nur die kleinen Äste, mit der kleinen Säge von den Seiten des Baumes ab um mich dann an den etwas dickeren Bäumen zu versuchen. Schweissüberströmt hatte ich eine halbe Stunde später den Baum in Einzelteilen vor mir liegen, die Kettensäge hätte diesen Prozess in nicht einmal einer Minute geschafft!
Ich kam ins Grübeln. Da sah ich das einfache, natürliche Leben dem technisierten gegenüber stehen und wusste, dass ich ganz ohne Luxus auch nicht leben wollen würde.
Jaaks Vater Joel beim Schärfen der Sense
Jaaks Mutti Ebe ist eine sehr offene, gesprächige Frau und dadurch hat sie eine Menge Freunde, die uns alle im Laufe der Sommermonate besuchen kamen. Das witzigste war, dass die meisten von ihnen ebenfalls Lehrerinnen waren und an derselben Schule wie sie unterrichteten. Da Jaak als Kind ebenso an diese Schule gegangen war, traf ich nun auf seine ehemaligen Mathe- und Russischlehrerinnen, erfuhr so manch eine Geschichte aus seinem kunterbunten Schulleben und hatte die Möglichkeit, Jaak einmal durch ganz andere Augen zu sehen - durch die Augen des kleinen Jungen Jaaks, dem in den 90er Jahren in Tallinn allzu oft das Geld auf der Strasse von ein paar Drogenabhängigen geklaut wurde, der in seinen Lieblingsfächern einwandfrei abschnitt, aber sich für alles Andere nicht besonders interessierte, der es schon immer mehr genossen hat im Freien zu sein als in der kleinen, engen Zweiraumwohnung und dessen Eltern ihn in all seinen Träumen und Plänen von Herzen unerstützten.
Mit diesen  Lehrerinnen erlebte ich schöne Wochen. Zum Beispiel gingen wir wieder Pilze sammeln.

Pilze sammeln mit "Musi", sie ist die Mutter von Jaaks bestem Freund der gerade in Korea ist, seine Eltern sind ebenso die besten Freunde von Jaaks Eltern
 Oder wir machten eine Tagestour nach Lettland, welches uns doch so nahe ist! Es dauert keine 10 Minuten und schon ist man im anderen Land.


 Dort schauten wir uns ein paar Städte an, kamen aber am Abend wieder zurück in die Heimat.
Doch bevor es wieder zur Farm ging, hielten wir noch an einem sehr interessanten Lebensort an...

 
 Ein dunkles Loch im Boden markiert den Eingang, er lässt sich mit einer schweren Holzluke verschliessen. Fast senkrecht geht eine Holzleiter hinunter und man steigt vorsichtig hinab, um nicht abzurutschen. Dunkelheit umfasst einen und es dauerte ein paar Sekunden, bis sich die Augen daran gewöhnt haben. Erst dann erkennt man die leichten Umrisse von Betten, oder vielmehr "mehrstöckigen Holzpritschen"...
Neben den Betten und dem Tisch sind auch die Wände aus Holz. Es ist kalt und irgendwie unwohnlich, in dieser Dunkelheit ist es nicht einfach dem Gang unter der Erde zu folgen, der einen schliesslich am anderen Ende wieder Licht sehen lässt. Ich atme auf als ich wieder im Freien stehen, die paar Minuten haben mir gereicht.
Aber unglaublich - genau hier haben sich Männer bis zu 15, 20 Jahren versteckt gehalten! Getrieben vom 2. Weltkrieg beschlossen sie sich hier ein Leben enzurichten - sie wollten nicht als Soldaten in den Krieg ziehen und womöglich sterben. Die Gründe sind vielzählig sich für ein Leben unter der Erde zu entscheiden, aber es ist kein Leichtes! Nicht eine einzige Spur darf man hinterlassen um nicht von Anwohnern oder Soldaten entdeckt zu werden, Feuer kann nur in der Nacht gemacht werden, wenn der Rauch nicht zu erkennen ist und Essen muss gegebenfalls von Farmen geklaut werden, findet sich nicht genügend in der Natur. Und dann die kalten Winter in denen es bis zu -20 Grad werden kann...

Ein dunkler Gang führt am Ende wieder hinaus aus dem Bunker
 Auf Hinweisschildern konnte man Namen und Jahreszahlen der Versteckten erkennen, fast alle sind entweder während ihrer Zeit im Bunker gestorben, oder wurden nach dem Krieg festgenommen und zur Zwangsarbeit nach Sibirien geschickt. War es das alles Wert?

Bellend und schwanzwedelnd vor Freude begrüsste uns der Hund Kanki als wir zur Farm zurückkehrten. Seit 7 Jahren ist er in der Familie und Jaak hat ihm schon zweimal das Leben retten müssen, als er fast ertrank. Genaugenommen lebt er auch nur mit Familie Jalast, weil Jaak ihn vor Jahren seinem Freund schenkte, dessen Eltern aber streikten einen Hund in der Wohnung aufzunehmen und eine Allergie als Grund vorschoben, ihn zurückgeben zu können.
Es macht unglaublich Spass mit ihm Fussball zu spielen, denn er ist wahrhaft ein fairer Spieler und stellt sich einfach jedem einmal in den Weg. Etliche Tore wären auf beiden Seiten schon gefallen, hätte ein kläffender Kanki es nicht zu verhindern gewusst.
Auch Verstecken kann man gut mit ihm spielen. Dann schiessen wir den Ball über die Scheunen und während er läuft um ihn zurück zu bringen, rennen wir schnell weg und verstecken uns irgendwo. Er findet uns immer und dann folgt eine Jagd, in welcher der Hund am Ende gewöhnlich der Schnellere ist und wir schnaufend und nach Luft ringend aufgeben müssen.
 
Fussball spielen mit Kanki - immer ein Erlebniss
Spaziergang zur alten Mühle, Kanki war baden
In diesen Sommermonaten auf der Farm versuchten wir auch einmal den höchsten Berg des Baltikums zu erklimmen - er ist 318 Meter hoch und nur ca. eine Fahrstunde von uns entfernt. Aber als wir mit Jaaks Schwester und ihren Kids dort ankamen, blieb uns nicht viel mehr übrig als in dem kleinen Laden am Fusse des Berges zu warten - aus Wind wurde Sturm, aus ein paar Tröpfchen Wasser wurde eine starke Regenschauer und letztendlich endete das Ganze in schweren Hagelkörnern, die liegen blieben und uns wie der erste Schnee erschienen, den wir in den letzten 2 Jahren gesehen hatten. Selbst eine "Schneeballschlacht" hatten wir! Nur den "langen und schwierigen" Aufstieg konnten wir nicht mehr antreten, nach einer Stunde Warten fuhren wir wieder nach Hause.



Ein anderes Mal wurden Jaak und ich vom Nachbarn zum Kanu fahren eingeladen - nur für einen Tag, versteht sich. Dabei waren der Vater und seine zwei Söhne von 17 und 12 Jahren und sie brachten ein Kanu und ein Kajak. Mit dem älteren Sohn im Kanu ging es den Fluss hinunter, der uns diesmal auch etliche aufregende Stromschnellen und kleine Wasserfälle präsentierte!



Neben dieser Aufregung gab es aber auch Phasen, in denen wir einfach nur die Landschaft und Natur betrachteten, uns in Ruhe zurücklehnten, Kekspausen einlegten und an einem roten Felsen anhielten, der mich doch sehr an Australien erinnerte...

Pause am roten Felsen
Ein kleiner Wasserfall an der alten Mühle
Und dann war der Sommer auch schon fast wieder vorbei. Richtig warm geworden war es nie, aber die Nächte wurden länger und Jaaks Eltern fuhren wieder nach Tallinn um zu arbeiten. Vorher kam aber noch der Schornsteinfeger vorbei und reinigte den alten Ofen und die Abzüge in der Wand, von denen ich bisher gar nicht wusste, dass sie existieren. Dann kletterte er auf das Hausdach und wir hinterher - das konnten wir uns nicht entgehen lassen! Ein Ball mit vielen, langen Stacheln  wurde in den Schornstein hineingelassen, reinigte die Wände und liess ihn wieder frei atmen.

Der Schornsteinfeger ist schwarz und sitzt auf dem Dach
  Das Jaaks Eltern die Farm verliessen, hiess aber nicht, dass wir keinen Besuch mehr empfingen. Und zwar war es deutscher Besuch! Jaak hatte dieses Mädel vor 5 Jahren in Australien kennen gelernt, als er dort zum ersten Mal lebte und arbeitete. Danach hatten sie nie wieder Kontakt, aber wie bei den meisten reisefreudigen Menschen war das kein Problem - Jaak schrieb ihr einfach als wir vor ein paar Monaten in Deutschland waren und sie trafen sich in Berlin.
Nun war sie hier in unserer Farm und das war toll! Endlich hatte ich wieder jemanden, der nicht nur meine Sprache versteht, sondern auch genauso chaotisch durch die Gegend läuft, hin- und wieder tollpatschig etwas fallen lässt, das Essen im Ofen anbrennt weil es doch soo viele ander wichtige Dinge nebenbei zu tun gibt, und die stundenlang nach der kleinsten Kleinigkeit im grossen Rucksack suchen muss, während der "disziplinierte" Jaak daneben steht und dieses Verhalten einfach nicht nachvollziehen kann... 


Es waren schöne Tage und neben etlichen Spaziergängen durch den Wald, versuchten die Zwei einmal mehr den höchsten Berg des Baltikums zu erklimmen. Aber ein weiteres Mal spielte das Wetter verrückt und aufgrund von heftigen Regenschauern mussten sie den Plan aufgeben.
Schon ein paar Tage später fuhr die Deutsche weiter nach Litauen, denn ihr Freund kam von dort und sie besuchten seine Familie.


Aber noch bevor sie abgereist war, da kam auch schon der nächste deutsche Besuch und die Beiden die nun vorbei kamen, waren garantiert nicht weniger wichtig und ich freute mich sehr darauf sie zu sehen
- Meine Eltern!