Die weitgereisten Schuhe schafften es gerade noch bis nach Hause. |
Zu Hause angekommen, verbrachte ich die ersten Wochen in meinem Elternhaus, feierte eine gemütliche Weihnachten, half meiner kleinen Schwester beim Umzug in Leipzig für 2 Tage und sah zum ersten Mal meine kleine, unglaublich niedliche Nichte.
In der Heimat |
Umzug in Leipzig |
Das war super. Es war Montag Abend und ich hatte mir vorgenommen, am Samstag nach Leipzig zu fahren, mit dem Bus.
Ich schlief bei ein paar Freunden in der WG und als es spät Abends an der Tür klingelte, wunderten wir uns ein wenig. Wer kam so spät zu Besuch?
Beim Öffnen der Tür, war meine Überraschung groß, ein Rolandsbruder stand davor, ein Handwerker auf der Walz, der 3 Jahre und einen Tag durch Deutschland und die Welt reist!
Lukas, ein Wandergeselle auf der Walz für 3 Jahre und einen Tag |
Ich mag diese Wandergesellen. Vor ein paar Wochen war der Bruder eines der WG-Mitglieder auf die Walz gegangen und deshalb stand Lukas nun hier vor der Tür und bat um einen Schlafplatz für eine Nacht, er kannte den Bruder und hatte schon einmal hier geschlafen.
Es war eine Riesenparty, in ganz eigenem Stil gewesen und ich war mehr als glücklich, für eine ganze Woche dabei gewesen zu sein!
Wandergesellen erlebe ich in der Regel immer als ziemlich fleißig und unglaublich leidenschaftlich begabt in ihrem Handwerk! Gleichzeitig wissen sie aber auch zu Entspannen und sind dem Feiern nicht ganz abgeneigt...
Derjenige, der auf die Walz geht, hat für den Anfang einen "Exportgesellen", der ihn begleitet und ihm die wichtigsten Dinge lehrt. Ist er dann soweit, bekommt er in einer "geheimen Zeremonie" die Ehrbarkeit (eine Art Schlips) verliehen, in diesem Fall eine Blaue, denn das ist die Farbe des "Rolandsbruderschachts".
Während der 3 Jahre und einen Tag, dürfen die Rolandsbrüder nicht nach Hause kommen.
Sie müssen außerhalb einer Bannmeile von 60 km um ihren Heimatort bleiben.
Als Gepäck haben sie nicht viel dabei, alles ist in ihrem "Charlie" verpackt, den sie, an einem Stock, über der linken Schulter tragen.
Der "Charlie" eines Wandergeselles |
Kommunikationsmittel zu besitzen ist nicht erlaubt, also wurde wurde beim Losgehen unseres Freundes, ein symbolisches Handy an einen Baum genagelt. Das Telefon einer anderen Person zu nutzen oder Emails zu schreiben und im Facebook angemeldet zu sein, ist aber ok.
Vor dem Losgehen bekommt der Geselle einen goldenen Ohrring in sein linkes Ohr "genagelt". Im wahrsten Sinne des Wortes - mit Hammer und Nagel! Aus der Tradition heraus, war dieser Ohrring eines der letzten wertvollen Dinge, die der Wandergeselle in Zeichen der Not verkaufen könnte. Außerdem wurde er herausgerissen, wenn der Wandergeselle extrem gegen die Regeln verstiess, und er wurde dadurch von jedem als "Schlitzohr" erkannt.
Ein weiteres Ritual, dass aber nicht von ganz jedem Wandergesellen durchgeführt wird, ist das Klettern über das Ortsschild. Springt der Wandergeselle auf der anderen Seite herunter und läuft los, darf er nicht mehr Zurückblicken. Für mehr als 3 Jahre, werden ihn viele Freunde und Familienmitglieder nun nicht sehen. Ein sehr emotionaler Moment.
Diese Zeit sollten wir nun nachholen können, denn als ich Lukas seine Pläne hörte, war ich begeistert! Er stand nur vor unserer Tür, weil er in Erfurt beim Trampen "stecken geblieben" war. Morgen wollte er weiter nach Leipzig trampen!
Irgendwie waren meine Aufenthalte in Deutschland sonst immer wie eine Unterbrechung von Reise und Abenteuer gewesen, wie ein ruhiger Urlaub.
Aber diesmal hielt sich das Schicksal nicht daran und ich war mehr als dankbar dafür!
Kurz entschlossen taten wir uns also zusammen, da ich ja ebenfalls nach Leizig wollte, und am nächsten Tag standen wir an der Straße und hielten die Daumen raus.
Was für ein Leben, genauso mag ich es!
Ein Mädchen zu sein ist sicher ein Vorteil beim trampen, aber, ganz ehrlich, einen Wandergesellen dabei zu haben, ist auch nicht ohne! Scheinbar Jeder kannte diese Tradition und wir hatten nicht die geringsten Probleme, mitgenommen zu werden. Wir warteten nie länger als ein paar Minuten und ein paar Stunden später, waren wir am Ziel.
Während ich auf meinen Reisen auf jegliches Transportmittel zurückgreife, dass sich ergibt, trampen Wandergesellen fast ausschliesslich durch die Welt.
Trampen, Freiheit geniessen! |
Die Nikolaikirche in Leipzig, definitv sehenswert! |
Einmal durfte ich noch weitere Einblicke in das Leben eines Wandergesellen erlangen - wir gingen gemeinsam zu einer Kluftschneiderin!
Die Kluft ist die traditionelle Kleidung der Handwerker und nun wollte Lukas, wie alle anderen Gesellen, seine eigene Kluft schneidern lassen, genau für ihn angefertigt.
Wir fuhren in die Vororte Leipzigs, brauchten eine halbe Ewigkeit und verfuhren uns etliche Male. Aber wenn man mit einem Wandergesellen unterwegs ist, dann ist das egal. Kein Stress. Irgendwann kommt man schon irgendwo an.
Bestimmt eine Stunde lang nahm die Schneiderin Maß, schrieb alles auf und hörte auf Lukas´s spezielle Wünsche. Die Kluft anzufertigen, würde sie Wochen und Monate kosten. Nur wenige Schneider und Schneiderinnen beherrschen dieses Handwerk, es ist etwas besonderes.
Anfertigen einer maßgeschneiderten Kluft |
Ich wurde nie müde, meine kleine Nichte herumzutragen, mit ihr zu lachen und sie verliebt anzuschauen. Natürlich ist sie das niedlichste Baby der Welt - wenn auch nur für mich und andere nahe Verwandte. Jeder hat eben sein eigenes, niedlichstes Baby auf der Welt.
Meine kleine Nichte |
Übernachten tat ich bei meiner kleinen Schwester und es wurde nie langweilig. Einmal holten wir eine Matratze bei einer Privatperson ab, die sie kostenlos bekommen konnte. Das war ein Unterfagen! Ein Riesending, dass wir mit schmalem Klebestreifen in Mülltüten einwickelten, die aber schon zerissen waren, als wir nicht mal die Treppen im Haus heruntergekommen waren. Wir hatten sie einfach herunterrutschen lassen. Dann in die Bahn, wo wir verrückte Blicke von Mitfahrern auf uns zogen, dreimal umsteigen mussten und die Matratze schliesslich in den 5. Stock tragen durften!
Dann war es soweit und ich brach auf, in die nächste Stadt meiner Reise - Berlin. Mein Bruder und seine Freundin waren gerade erst wieder dorthin gezogen und ich konnte bei ihnen in der Einzimmer-Wohnung übernachten. Auch meine Eltern kamen uns für ein Wochenende besuchen.
Berlin |
Mir wurde bewusst, dass ich noch nie wirklich die Mauer gesehen hatte und ich ging hin, um sie anzuschauen. Es müssen wahrlich verrückte Zeiten gewesen sein...
Ich traf eine Frau, die versucht hatte zu fliehen und ein Jahr im Gefängnis verbrachte. Ihren Freunden wurden die Kinder weggenommen als sie abhauen wollten. Die Kinder kamen dann normalerweise in ein Heim, sie selbst konnte sie aber aus dem Polizeauto holen, gerade, als sie "weggeschafft" werden sollten.
Die Berliner Mauer |
Eigentlich ist die Gegend der Mauer geschützt und sollte nicht verändert werden. Aber mit genügend Geld, lässt sich überall ein Hotel hinbauen, auch direkt neben der Mauer! |
Ein Stückchen der Berliner Mauer zu kaufen... |
Hinterlassenschaften aus dem Krieg. So stark, dass sie kaum zu zerstören sind. Also werden sie einfach umfunktioniert - hier zu einem Kletterturm. |
In diesen Zelten und Bauwagen, erlernt man den Beruf des Zirkuspädagogen/-in! |
Geburtstagskuchen für meinen Bruder |
Wandergesellen jeglichen Handwerks sind übrigens immer willkommen!
(Andreas Langnick, Hauptstr. 44, 16348 Schönwalde Tel.: 01786179649)
Eingepackt in alte Kleidung, geht es los zum Fenster streichen. |
Und dann war es auch schon wieder soweit. Ich packte meine Koffer und zog los - auf zur nächsten Reise, zurück nach Spanien. Nach Granada!