Viele Monate des Reisens sind bereits vergangen, doch es ist noch nicht vorbei. Macht man sich auf die Suche, dann findet man ueberall Abenteuer! Nur los gehen muss man. Und genau das habe ich wieder vor. Wohin? Einfach immer der Nase und dem Herzen nach. Für Interessierte gibt es hier die Fortsetzung von sabsbabsundanneinaustralien.blogspot.com!

Monday, April 8, 2013

Hostelleben in Freiburg

Nach dieser weissen Osterzeit eine kleine Erinnerung an eine Weihnacht ohne Schnee... :

Familienspaziergang an Weihnachten...

Geschwisterfoto

Aber gut. Das ist ja nun schon wieder Geschichte.
Denn tatsächlich sind schon wieder mehr als drei volle Monate hier in Freiburg vergangen! 
Und ich habe noch immer kein Wort darüber verlauten lassen, wie es mir denn nun hier so ergeht...

Wie bereits im letzten Blog erwähnt, fiel mir der Abschied von der Heimat nicht ganz leicht. Da ich von meinem neuen Lebensort nicht einfach wieder verschwinden konnte, wenn es mir nicht mehr gefiel, überkam mich eine gewisse Nervosität:

Würde ich mit der Arbeit klar kommen? Wie wird es sein, so lange an einem Ort zu bleiben, werde ich mich nicht langweilen?
Wie wird das alles eigentlich mit Jaak, der ja zu diesem Zeitpunkt noch in Estland war, aber auch bald nachkommen würde? Und vor allem - würde ich Kontakte knüpfen und Anschluss finden?

Wieder einmal gab es nur einen eizigen Weg diese Anworten zu finden - ausprobieren!

Mehrere Tage sass ich und durchforstete mein ganzes Zimmer in Effelder nach nützlichen und unwichtigen Dingen. Viel wurde weggeschmissen, Etliches wurde in grosse Koffer gepackt um später mit mir nach Freiburg zu reisen und ein kleiner Teil landete auch wieder in dem selben Schrank, in dem ich es gefunden hatte.

Ja... das könnte man aufrräumen nennen.
Die ganze Sache hatte nur einen Hacken: Da ich in Freiburg noch keine Wohnung hatte, konnte ich ausser einem Rucksack auch nicht viel mitnehmen!
Aber ich hatte es mittlerweile lieben gelernt mit wenigen Dingen auszukommen und die grossen Koffer würden mir sowieso bald meine Eltern bei einem Besuch hinerher fahren. Lange konnte es ja nicht dauern, bis ich eine Wohnung finden würde...



 Eine WG (Wohngemeinschaft) suchte ich, mit tollen Leuten, die einen nicht einsam werden liessen.
Zwei hatte ich mir bei meinem ersten Besuch bereits angeschaut (mehr war in der kurzen Zeit nicht möglich gewesen) - und zwei hatten mir auch abgesagt, sich für einen anderen Mitbewohner/in entschieden. Eine der beiden WG´s hatte mich sogar noch eingeladen, dass ich trotz Absage ein paar Nächte auf ihrer Couch schlafen dürfte, falls ich keine Unterkunft fand...

Aber glücklicherweise gab es da ja noch eine Alternative. Am 01.01.13 verliess ich früh morgens Erfurt, begab mich auf eine 8stündige Fahrt nach Freiburg und kam schliesslich in meinem neuen Zuhause an - dem Schwarzwald - Hostel!

(Internetfoto)
Vielleicht hätte es einige Menschen abgeschreckt, mit 20 fremden Personen in einem Zimmer zu schlafen.
Vielleicht hätten sich Andere darüber aufgeregt, dass sie dafür auch noch mehr Geld zahlen müssten, als für eine kleine Einzimmerwohnung.
Vielleicht hätte so manch einer auch spätestens dann einen kleinen Unruheanfall bekommen, wenn die Mäuse in der Nacht wieder herausgekommen wären, freundlich raschelnd und dabei, sich an der Schokolade gütlich zu tun, die selbst im Schliessfach nicht sicher aufgehoben war.

Aber mir gefiel es. Ja, ich suchte regelrecht nach etwas Neuem! Anderem! Das mir neben einem Vollzeitsjob und Routine-Arbeitsleben noch ein Stückchen Verrücktheit und Aussergewöhnlichkeit lassen würde!
Nur noch ein Stückchen vom nun vergangenen Reiseleben, dass ich mir bewahren konnte, nicht sofort von Null auf Hundert in den neuen Alltag starten.


Da bei meinem Einzug ins Hostel fast alle 21 Betten im Raum belegt waren, musste ich mit dem ganz vorne an der Tür vorlieb nehmen. Das hiess, dass jeden Abend und jeden Morgen 20 Leute an mir vorbeirauschten und mich beim Schlafen beobachten konnten.
Als der Raum dann leerer war und ich hätte umziehen können in ein anderes Bett - da brachte ich es einfach nicht mehr über mich! Verrückt, was war passiert? Immer wieder ging ich im Raum umher und fühlte nach, wie es wäre, an einer anderen Stelle zu schlafen. Aber an der einen Stelle fehlte das grosse Fenster, was mir zugleich Licht und frische Luft einbrachte, an der anderen Stelle war das Bett des Nachbarn zu nah und an der nächsten Raumecke vermisste ich die Hacken um meine Klamotten aufzuhängen. Den logischsten Grund für meine Gefühlslage fand ich aber erst nach einer ganzen Weile heraus: Da niemand vorne liegen wollte, hatten sich vor allem die "Langzeit-Hostel-Lebenden" alle hinten breit gemacht.
Die meiste Privatsphäre hatte ich also logischerweise immer noch, wenn vorne zwar jeder in wenigen Sekunden an mir vorbeilief, aber ich nicht stets und ständig einen Bettnachbarn hatte, der die ganze Nacht weniger als einen Meter von mir entfernt lag und schnarchte.

Mein kleines "privates" Reich im 21 - Personenhostelzimmer
Die Betten standen zum Glück in kleinen 7er - Gruppen, getrennt durch schulterhohe Holzwände. Man hatte also nicht alle Menschen in "nächster Nähe". Quietschende Hochbetten gab es netterweise auch nicht. Damit hätte man ja nochmals 21 Personen des grossen Geldes wegens unterbringen können...



Denn das gab es tatsächlich, pupsen und schnarchen. Aber ich sah es gelassen.
Leider war der einzige private Raum, zum Beispiel zum telefonieren, die Toilette.

Einen ganzen Monat verbrachte ich im Hostel und suchte währenddessen immer weiter nach Wohnungen. Aber hier lebten Menschen, die bereits seit vielen Monaten, gar ein halbes Jahr dort lebten und keine Wohnung fanden! 
Interessante Menschen traf ich dort. Und auch wenn sich der Kontakt zu Ihnen auf Dauer nicht halten wird - ich möchte die Begegnung mit ihnen keinesfalls missen.
Da war der schwule Kubaner, der Musical studiert, Verschwörungstheorien aufstellt und auf seine exzentrische Art jeden, den er trifft, erst einmal verbal angreift. Aber - er meint es nicht so.
Und da waren die zwei gutaussehenden Brasilianer - ein Profifussballer auf Tour und sein 30jaehriger Manager, der leider bereits geschieden ist und noch immer mit der Exfrau zusammen lebt.
 Da war der Spanier, ebenfalls geschieden, der immer fuer alle kochte und sich über die deutsche Kultur ärgerte - jeder lebte für sich und keiner kochte für ihn mit.
Da war der Inder, der ständig nach indischem Essen roch, weil er in einem indischem Restaurant arbeitete. Er stand kurz vor der Rente und war der Einzige, der nicht aus dem 21-Personenzimmer ausziehen wollte, weil er sonst so einsam wäre, wie er sagte.

Gemeinschaftsküche mit vielen interessanten Begegnungsmöglichkeiten
Und da war der 17jährige Deutsche, dessen Mutter ihm sein Leben lang vorgeschwindelt hatte sein Vater sei tot. Vor ein paar Wochen hatte er ihn dann zufällig in Facebook gefunden und endlich durfte er, hier in Freiburg, seinen totgeglaubten Vater kennen lernen.
Da war der 42jährige der gegen das deutsche System war und deshalb nicht arbeiten ging. Von was er lebte? Er schrieb Gedichte und wurde ausserdem von seiner Mutti unterstützt.
Und dann war dort auch noch ein Zweiter, der sich nicht so ganz an das System anpassen wollte. Offiziell galt er als obdachlos, ins Hostel kam er täglich nur Abends um zu kochen und schlafen tat er - richtig, im Wald. Bei jeglichem Wetter, im warmen Sommer und winterlich kaltem Schnee, baute er sein Zelt geschuetzt hinter Bäumen auf und alles Zeug was er hatte, lagerte in einer gemieteten Garage.
 
Aber wer mich am meisten beeindruckte, das war der buddhistische Mönch, der seit mehr als 10 Jahren im Hostel die Toiletten und Zimmer putzte. Er hatte einfach diese verdammt nette und hilfsbereite Art, die für mich jeglichen Glauben präsentierte, den man nur leben kann. Oder einfach nur Liebe. Leben. Hilfsbereitschaft. Wie auch immer. Nicht der Kirchgang macht einen zum guten Menschen, sondern etwas ganz anderes. Zum Beispiel, dass er ein kleines Mäusebaby vor dem sicheren Tod rettete, dessen Mutter durch das ausgelegte Mäusegift gestorben war und dessen Geschwister bereits durch Menschenhände in den eisigen Fluss geworfen worden waren. Er nahm es mit nach Hause und zog es dort auf, noch immer tut er das. Weil er einfach ein herzensguter Mensch ist.



Ich bin unglaublich dankbar, dass ich diese Menschen treffen durfte, mit ihnen auf engstem Raum mein Leben teilen konnte. Zu den wenigsten habe ich eine solche Beziehung aufgebaut, dass wir den Kontakt aufrecht erhalten würden. Aber ich durfte an ihrem Leben teilhaben und ich finde das ist es, was ein eigenes Leben interessant macht.
Auch der Hund einer Mitarbeiterin besuchte uns immer wieder im Hostel und wartete darauf, dass man ihm ein paar leckere Bröckchen zuwarf.
14 Wohnungen schaute ich an, bis ich endlich eine gefunden hatte. Nur als Zwischenmiete für den nächsten Monat. Immerhin. 
14 WG-Castings, in denen man im besten Fall zehn Minuten Zeit eingeräumt bekommt sich vorzustellen, sich anzupreisen, klar zu stellen, dass man besser ist als die anderen zehn bis 100 sonstigen Leute die kommen um sich anzupreisen. Manchmal werden Fotos gemacht, damit sich die WG-Eigentümer hinterher auch noch an alle erinnern können. Nur ein paar Sätze sind es die man sagt und die überzeugen müssen, willkommen im Showbuisness! 

Die Hostelduschen erinnern an Raumkapseln.
 Und dann immer hinterher die Nachricht: "Danke für dein Erscheinen, aber wir haben uns leider gegen dich entschieden." Und dann wieder die Aussage von allen Seiten "Das ist ja nichts gegen dich, sowas darf man nicht persönlich nehmen!" Wie man das allerdings nicht persönlich nehmen soll, wenn man sich doch persönlich vorgestellt hat, das ist mir noch immer ein Rätsel.
Ein paar Tatsachen: Zwei Bekannte haben einmal hier in Freiburg einen Nachmieter für ein WG-Zimmer gesucht. Sie haben eine extra Emailadresse eingerichtet, weil sie schon wussten was kommt. Nach 20 Stunden hatten sich 200 Leute gemeldet. Hinterher bekam keiner von ihnen die Wohnung, sondern jemand aus dem entfernten Bekanntenkreis.
Jedes Jahr zum Beginn des Sommersmesters werden die Turnhallen geöffnet. Hier leben alle, die keine Wohnung finden können.
Einmal hatte ich genau 5 Minuten Zeit mich "anzupreisen", in derselben Zeit kam aber auch schon eine Andere. Ich sagte in dem ganzen "Casting" genau 2 Sätze.
Wer kann sich rückwirkend an 50 Leute erinnern, die er für ein paar winzige Minuten, innerhalb weniger Tage gesehen hat? 
Ungefähr ein Viertel der Leute, hat mir auch bis 3 Monate später nicht geschrieben, dass ich abgelehnt bin.
Einmal bekam ich die Wohnung für einen Monat! Ein paar Stunden später kam die ernüchternde Nachricht: Die unbekannte Mitbewohnerin hatte sich doch für jemanden Anderes entschieden, der am Wochenende nie da sein würde. Wieder nix. Danach kaufte ich mir aus Frust ein Fahrrad im Hostel, dass sonst hier für Tagestouren vermietet wurde.

Mein "neues" Fahrrad!
Und so geschah es, dass ich die Einmonatswohnung bekam: 
Einen Abend vorher, war ich zum ersten Mal mit ein paar Arbeitskollegen ausgegangen. Spät in der Nacht kam ich alleine zurück zum Hostel und mir wurde bewusst, was ich zuvor so schön verdrängt hatte:
Die Tür des Hostels war in der Nacht abgeschlossen!
Ah ja. Deshalb nahm man also einen Schlüssel mit. Hatte ich natürlich nicht. Da stand ich also in winterlicher Kälte, früh am Morgen vor verschlossener Tür und hatte keine Ahnung, was zu machen sei. Erfahrungsgemäss waren es noch mindestens drei Stunden, bis sie hier wieder aufmachten.
Schliesslich fielen mir die Worte wieder ein, die eine Arbeitskollegin am Morgen zu mir gesagt hatte:
"Wenn du mal keine Unterkunft hast, kannst du gerne bei uns schlafen!"
"Oh, wie nett" hatte ich gesagt, aber niemals gedacht, dass dies innerhalb eines Tages eintreffen würde!
Wir waren ja gerade zusammen weg gewesen, ich traf sie in der Stadt und verbrachte die Nacht bei ihr.
Am nächsten Tag zog ich die rauchig - muffigen Klamotten der Feier wieder an und wischte mir kurz über die Zähne - eine Zahnbürste hatte ich natürlich nicht dabei! Genau in diesem Zustand war ich, als das Mädel auf meine Anzeige antwortete und mich jetzt gleich treffen wollte!
Zum ersten Mal hatte ich also nicht darüber nachgedacht, dass ich ordentlich aussehe bevor ich zum Casting gehe und schnell noch eine Dusche genommen. Und ich bekam die Wohnung.



Auf dem Heimweg stieg ich über einen Berg, das sollte eine Abkürzung sein und Spass machen. Und endlich mal wieder ein Abenteuer! Das wusste ich spätestens dann, als es um mich herum stockdunkel geworden war, ich natürlich keinerlei Licht bei mir hatte und als ich nach viel zu langer Kraxelei endlich oben angekommen war, nicht die geringste Ahnung hatte, in welche Richtung ich gehen musste. Ein junges Paar bewahrte mich vor dem Fehler, einen ungemeinen Umweg zu laufen. Sicher waren sie sich aber auch nicht. Nun ging die Rutschpartie los! Wenige Zentimeter neben mir ein steiler Abhang, dankbarerweise ein bisschen Mondlicht und einen Weg, der vollkommen von Eis überdeckt war. Unmöglich dort nicht zu fallen. Unmöglich nicht mit einem ganzen Haufen blauer Flecke zu Hause anzukommen. Aber immerhin, ich hatte es geschafft! Wenn ich auch nicht dort herauskam, wo ich herauskommen wollte...
Nach anderthalb Stunden kam mir die Gegend wieder bekannt vor - ich war genau da angekommen, wo ich auch los gelaufen war! Genaugenommen zwei Strassen weiter, diesen Weg hätte ich in einer Minute von meiner neuen Wohnung aus laufen können!
Aber das Abenteuer war es definitiv wert gewesen!

Der Schlossberg in Freiburg - im Winter lieber im Hellen geniessen! (Internetfoto)
Nur wenige Tage später würde ich in meine neue Wohnung einziehen, in der ich einen Monat bleiben konnte.