Viele Monate des Reisens sind bereits vergangen, doch es ist noch nicht vorbei. Macht man sich auf die Suche, dann findet man ueberall Abenteuer! Nur los gehen muss man. Und genau das habe ich wieder vor. Wohin? Einfach immer der Nase und dem Herzen nach. Für Interessierte gibt es hier die Fortsetzung von sabsbabsundanneinaustralien.blogspot.com!

Sunday, July 29, 2012

Jaaks Fahrradtour von Berlin nach Riga

Am 21. Mai 2012 begab sich mein Freund Jaak auf seine ganz eigene Reise. Er hatte sich dafür ein altes "Diamand" - Fahrrad für 30 Euro in Berlin gekauft und einen "Swag" gebaut, aus einer Plane, die er um eine Isomatte wickelte. Darin würde er schlafen und weder ein Zelt noch einen Schlafsack mitnehmen müssen.

1200 km lagen vor ihm und eine Route, die ihn durch Deutschland, Polen, Litauen und schliesslich nach Lettland führen sollte, wo wir uns in 2 Wochen treffen würden.


Die Fotos schoss er mit einem einfachen Fotoapparat, so einen, wie ihn wohl die Meisten noch zu Hause herum liegen haben, bei dem man sich die gemachten Bilder nicht einfach auf dem Display anschauen kann und nach jedem Bild weiter kurbeln muss. Er wollte so wenig Wertvolles wie möglich mitnehmen, denn dann konnte ihm auch nichts geklaut werden.

Den Sattel "tuned" er mit seiner dünnen Decke und Klebeband damit der Hintern nicht mehr so weh tut, auf dem Gepäckträger ist alles was er hat, dazu noch ein kleiner Rucksack auf dem Rücken.
 
Sein Handy (oder eher mein Handy) fiel ihm schon ins Wasser bevor er überhaupt los gefahren war und ging kaputt. Aber doch schaffte er es immer genau im richtigen Moment eine Email zu senden bevor ich
mir Sorgen machen konnte!

In der 2. Email hiess es, er wollte aufgeben. Die Nächte waren kalt und unbequem weil er weder eine Decke noch einen Schlafsack hatte und der "Swag" zwar Nässe, aber keine Kälte abhalten konnte. Er war geschafft, den ganzen Tag nur tremmeln, tremmeln, tremmeln, nichts weiter. Die Sonne hatte ihm einen Sonnenstich beschert, er hatte zu wenig getrunken. Ausserdem war er anstatt den 60 km auf der Karte 100 km gefahren, weil er den Weg nicht gefunden hatte. (Die Karten die er mitgenommen hatte waren in einem solchen Masstab, dass fast das ganze Land und somit auch nur die grössten Orte und Wege darauf waren) 


Aber eine der ersten Erfahrungen die man auf Reisen macht: Alles scheint viel schlimmer in der dunklen, kalten Nacht. Mit den ersten Sonnenstrahlen am nächsten Morgen, scheint die Welt auf einmal wieder viel besser und schöner zu sein!

 

 Als er am nächsten Morgen also aufwachte, beschloss er, dass er weiter machen würde. Er konnte es schaffen! Und als Notlösung könnte er ja immer noch in den Zug steigen und ein paar km fahren.

Aufgeschlagenes Lager am Strand
Bahnhof in Polen


Also ging das Überleben mit Fertigessen in Gläsern, Muskelkater, sängender Hitze, Regen und Kälte in der Nacht weiter. Aber er achtete darauf mehr zu trinken, kaufte sich in jedem Ort in den er kam ein oder zwei Eis und legte sich über die Mittagsstunden irgendwo ins Gebüsch zum schlafen. In der Nacht konnte er wegen der Kälte nämlich kaum Schlaf finden.

Fertigessen in Gläsern
Links im Gebüsch liegt Jaak und schläft, Zeit für einen "nanny nap".

"Jesus in the box", wie Jaak zu sagen pflegt
Am Anfang fuhr er die kleinsten Landstrassen entlang, dass würde länger dauern, war aber auch interessanter. Er mochte die kleinen, leer stehenden Dörfer durch die er kam und die Menschen die ihm freundlich gesinnt waren. Einmal fragte er einen Mann in Polen nach Öl für sein Fahrrad - der lud ihn dann gleich noch zum Essen ein!

Da liegt ein Reh ohne Kopf am Strassenrand. Hat ihn ein Auto abgefahren?
Nur einmal in 2 Wochen hatte er einen See und gutes Wetter gleichzeitig - yeah, waschen! Das geht auch ohne Handtuch, das wäre nämlich zu viel Ballast gewesen.

Immer wieder Rast an Bushaltestellen in Polen
Und dann kam er endlich an die Grenze!!! An dieser Stelle treffen sich Polen, Kaliningrad (Russland) und Litauen. Der Weg durch Kaliningrad wäre kürzer gewesen, aber mein braucht ein Visum um dort hinein zu gehen und das hatte er nicht, also fuhr er über Litauen.

Hier treffen Polen, Kaliningrad (Russland) und Litauen aufeinander
Das Fahren wurde nicht einfacher. Er schlief an Stränden, auf dem Dach, in leerstehenden Häusern, im Gebüsch und sogar auf dem Friedhof! Es war eine gruselige Erfahrung als er plötzlich merkte wie ihn etwas mitten in der Nacht anstarrte. Als er seinen Kopf aus dem Swag streckte, durchbohrten ihn die leuchtenden Augen einer Katze.


Nach ungefähr 9 Tagen erreichte er die Grenze nach Lettland. Genau sagen lässt dich das nicht, weil er zu diesem Zeitpunkt schon vollkommen das Zeitgefühl verloren hatte und nur noch in seiner Fahrradfahrroutine gefangen war.

Der Beginn von Lettland
2 Tage verbrachte er in dieser einsamen Hütte im Heu weil es regnete und er nicht weiter fahren konnte
Und dann endlich war er da, RIGA zeigte ihm das riesige Zeichen vor seiner Nase an! Zu dem Zeitpunkt hatte er sich seit Tagen nicht waschen können (stört ja auch Niemanden wenn man alleine ist), unrasiert und dreckig fühlte er sich wie ein obdachloser Hippie den die Leute auf der Strasse zu meiden begannen.



Die letzten 2 Tage und Nächte war er einfach durchgefahren um schnellstmöglich anzukommen. Deshalb hatte er den ganzen Trip in 2 Wochen beendet ohne unterwegs in den Zug zu steigen und genoss nun den Luxus eines Hostelbettes für nur 9 Euro die Nacht! Die erste Dusche war unglaublich. Er lernte Letten kennen und traf auf Esten, wie merkwürdig das er endlich seine eigene Sprache mal wieder sprechen konnte!
Er kam zu der Entscheidung, dass er den Trip in so einem Masse nicht wiederholen würde. Ein paar Gänge am Fahrrad, eine Dusche oder eine ordentliche Schlafmöglichkeit, waren schon ein sehr angenehmer Luxus.

3 Tage später holte er mich von meinem 13 Euro - Bus ab in dem ich gerade 23 Stunden gesessen hatte -
in derselben Zeit, für ein paar Hundert Euro mehr, fliegt man ans andere Ende der Welt nach Australien. Bei Brot, Wurst und Orangensaft feierten wir unser Wiedersehen und einjähriges Zusammensein im Park, bis sich ein betrunkener Bettler zu uns gesellte und einen Schwall russischer Worte von sich gab. Das wir kein Russisch sprechen verstand er nicht, wir machten uns kurz später auf den Weg zum Bahnhof und liessen ihn mit seiner Flasche allein. 


Yeah, Jaaks neues Fahrrad mit dem bequemen Decken-Sattel ist echt toll!
Am Bahnhof
Mit dem Zug ging es für ungefähr 2 Euro in mehr als 2 Stunden von Riga in Lettland nach "Valga" in Estland. Der Zug an sich war schon eine Erfahrung - alt und klapprig konnte man in den Verbindungstücken der Abteile auf dem Boden rechts und links bis auf die vorbeirauschenden Schienen schauen und wünschte sich, nicht etwa einen falschen Schritt zu wagen. Die Toilette war eben so gebaut - die "Hinterlassenschaften" fielen auf Knopfdruck gleich bis auf die Schienen.
 
Auch das Abenteuer - Fahrrad bekam seinen eigenen senkrechten Platz an der Wand.
Und dann war es nach ein paar Stunden Fahrt auch für Jaak soweit - nach ganzen 2 Jahren würde er seine Familie nun zum ersten Mal wieder sehen! Meine Aufregung hatte sich auf einmal gelegt, ganz gelassen sah ich dem Treffen des Vaters entgegen der uns vom Bahnhof abholen würde.
Die Esten seien eher ein "kühles" Volk hiess es in meinem kleinen estnischen Handbuch, sie brauchen eine Weile um sich mit Fremden anzufreunden. Jaak bestätigte das und ich beschloss, Jaaks Vater lieber ersteinmal mit einem Handschlag zu begrüssen, als gleich mit einer Umarmung.