Am
21. Mai 2012 begab sich mein Freund Jaak auf seine ganz eigene Reise.
Er hatte sich dafür ein altes "Diamand" - Fahrrad für 30 Euro in Berlin
gekauft und einen "Swag" gebaut, aus einer Plane, die er um eine Isomatte
wickelte. Darin würde er schlafen und weder ein Zelt noch einen
Schlafsack mitnehmen müssen.
1200
km lagen vor ihm und eine Route, die ihn durch Deutschland, Polen,
Litauen und schliesslich nach Lettland führen sollte, wo wir uns in 2
Wochen treffen würden.
Die
Fotos schoss er mit einem einfachen Fotoapparat, so einen, wie ihn wohl
die Meisten noch zu Hause herum liegen haben, bei dem man sich die
gemachten Bilder nicht einfach auf dem Display anschauen kann und nach
jedem Bild weiter kurbeln muss. Er wollte so wenig Wertvolles wie
möglich mitnehmen, denn dann konnte ihm auch nichts geklaut werden.
Den Sattel "tuned" er mit seiner dünnen Decke und Klebeband damit der Hintern nicht mehr so weh tut, auf dem Gepäckträger ist alles was er hat, dazu noch ein kleiner Rucksack auf dem Rücken. |
Sein
Handy (oder eher mein Handy) fiel ihm schon ins Wasser bevor er
überhaupt los gefahren war und ging kaputt. Aber doch schaffte er es
immer genau im richtigen Moment eine Email zu senden bevor ich
mir Sorgen machen konnte!
In
der 2. Email hiess es, er wollte aufgeben. Die Nächte waren kalt und
unbequem weil er weder eine Decke noch einen Schlafsack hatte und der
"Swag" zwar Nässe, aber keine Kälte abhalten konnte. Er war geschafft,
den ganzen Tag nur tremmeln, tremmeln, tremmeln, nichts weiter. Die
Sonne hatte ihm einen Sonnenstich beschert, er hatte zu wenig getrunken.
Ausserdem war er anstatt den 60 km auf der Karte 100 km gefahren, weil
er den Weg nicht gefunden hatte. (Die Karten die er mitgenommen hatte
waren in einem solchen Masstab, dass fast das ganze Land und somit auch
nur die grössten Orte und Wege darauf waren)
Aber
eine der ersten Erfahrungen die man auf Reisen macht: Alles scheint
viel schlimmer in der dunklen, kalten Nacht. Mit den ersten
Sonnenstrahlen am nächsten Morgen, scheint die Welt auf einmal wieder
viel besser und schöner zu sein!
Als
er am nächsten Morgen also aufwachte, beschloss er, dass er weiter
machen würde. Er konnte es schaffen! Und als Notlösung könnte er ja
immer noch in den Zug steigen und ein paar km fahren.
Aufgeschlagenes Lager am Strand |
Bahnhof in Polen |
Also
ging das Überleben mit Fertigessen in Gläsern, Muskelkater, sängender
Hitze, Regen und Kälte in der Nacht weiter. Aber er achtete darauf mehr
zu trinken, kaufte sich in jedem Ort in den er kam ein oder zwei Eis und
legte sich über die Mittagsstunden irgendwo ins Gebüsch zum schlafen.
In der Nacht konnte er wegen der Kälte nämlich kaum Schlaf finden.
Fertigessen in Gläsern |
Links im Gebüsch liegt Jaak und schläft, Zeit für einen "nanny nap". |
"Jesus in the box", wie Jaak zu sagen pflegt |
Am
Anfang fuhr er die kleinsten Landstrassen entlang, dass würde länger
dauern, war aber auch interessanter. Er mochte die kleinen, leer
stehenden Dörfer durch die er kam und die Menschen die ihm freundlich
gesinnt waren. Einmal fragte er einen Mann in Polen nach Öl für sein
Fahrrad - der lud ihn dann gleich noch zum Essen ein!
Da liegt ein Reh ohne Kopf am Strassenrand. Hat ihn ein Auto abgefahren? |
Nur einmal in 2 Wochen hatte er einen See und gutes Wetter gleichzeitig - yeah, waschen! Das geht auch ohne Handtuch, das wäre nämlich zu viel Ballast gewesen. |
Immer wieder Rast an Bushaltestellen in Polen |
Hier treffen Polen, Kaliningrad (Russland) und Litauen aufeinander |
Nach
ungefähr 9 Tagen erreichte er die Grenze nach Lettland. Genau sagen
lässt dich das nicht, weil er zu diesem Zeitpunkt schon vollkommen das
Zeitgefühl verloren hatte und nur noch in seiner Fahrradfahrroutine gefangen
war.
Der Beginn von Lettland |
2 Tage verbrachte er in dieser einsamen Hütte im Heu weil es regnete und er nicht weiter fahren konnte |
Und dann
endlich war er da, RIGA zeigte ihm das riesige Zeichen vor seiner Nase
an! Zu dem Zeitpunkt hatte er sich seit Tagen nicht waschen können (stört ja auch Niemanden wenn man alleine ist), unrasiert und
dreckig fühlte er sich wie ein obdachloser Hippie den die Leute auf der Strasse zu meiden begannen.
Die
letzten 2 Tage und Nächte war er einfach durchgefahren um
schnellstmöglich anzukommen. Deshalb hatte er den ganzen Trip in 2 Wochen beendet ohne unterwegs in den Zug zu steigen und genoss nun den Luxus eines Hostelbettes für nur 9 Euro die Nacht! Die erste Dusche war
unglaublich. Er lernte Letten kennen und traf auf Esten, wie merkwürdig
das er endlich seine eigene Sprache mal wieder sprechen konnte!
Er kam zu der Entscheidung, dass er den Trip in so einem Masse nicht wiederholen würde. Ein paar Gänge am Fahrrad, eine Dusche oder eine ordentliche Schlafmöglichkeit, waren schon ein sehr angenehmer Luxus.
Er kam zu der Entscheidung, dass er den Trip in so einem Masse nicht wiederholen würde. Ein paar Gänge am Fahrrad, eine Dusche oder eine ordentliche Schlafmöglichkeit, waren schon ein sehr angenehmer Luxus.
3 Tage später holte er mich von meinem 13 Euro - Bus ab in dem ich gerade 23 Stunden gesessen hatte -
in derselben Zeit, für ein paar Hundert Euro mehr, fliegt man ans andere Ende der Welt nach Australien.
Bei Brot, Wurst und Orangensaft feierten wir unser Wiedersehen und einjähriges Zusammensein im Park, bis sich ein betrunkener Bettler zu uns gesellte und einen Schwall russischer Worte von sich gab. Das wir kein Russisch sprechen verstand er
nicht, wir machten uns kurz später auf den Weg zum Bahnhof und liessen
ihn mit seiner Flasche allein.
Yeah, Jaaks neues Fahrrad mit dem bequemen Decken-Sattel ist echt toll! |
Am Bahnhof |
Mit dem Zug ging es für ungefähr 2 Euro
in mehr als 2 Stunden von Riga in Lettland nach
"Valga" in Estland. Der Zug an sich war schon eine Erfahrung - alt und
klapprig konnte man in den Verbindungstücken der Abteile auf dem Boden
rechts und links bis auf die vorbeirauschenden Schienen schauen und
wünschte sich, nicht etwa einen falschen Schritt zu wagen. Die Toilette
war eben so gebaut - die "Hinterlassenschaften" fielen auf Knopfdruck
gleich bis auf die Schienen.
Auch das Abenteuer - Fahrrad bekam seinen eigenen senkrechten Platz an der Wand. |
Und dann war es nach ein paar Stunden Fahrt auch
für Jaak soweit - nach ganzen 2 Jahren würde er seine Familie nun zum
ersten Mal wieder sehen! Meine Aufregung hatte sich auf einmal gelegt, ganz gelassen sah ich dem Treffen des Vaters entgegen der uns vom Bahnhof abholen würde.
Die Esten seien eher ein "kühles" Volk hiess es in meinem kleinen estnischen Handbuch, sie brauchen eine Weile um sich mit Fremden anzufreunden. Jaak bestätigte das und ich beschloss, Jaaks Vater lieber ersteinmal mit einem Handschlag zu begrüssen, als gleich mit einer Umarmung.
Die Esten seien eher ein "kühles" Volk hiess es in meinem kleinen estnischen Handbuch, sie brauchen eine Weile um sich mit Fremden anzufreunden. Jaak bestätigte das und ich beschloss, Jaaks Vater lieber ersteinmal mit einem Handschlag zu begrüssen, als gleich mit einer Umarmung.